Das Reich der Elben 01
Existenz. Wir werden entweder dort drüben, in diesem neuen Land, ein neues Reich der Elben errichten – oder schon in Kürze wird unser Volk nicht mehr existieren. Und als Seefahrer, zu dem uns diese unselige Suche nach Bathranor gemacht hat, werden wir nicht einmal Ruinen hinterlassen, vor denen dann irgendwann einmal spätere Geschlechter stehen und sich unser erinnern werden.«
»Ich respektiere Eure Ansicht, Königin Ruwen«, sagte Fürst Bolandor. »Aber ich habe nicht Jahrtausende dem Lebensüberdruss widerstanden, nur um dann das große Ziel einfach aufzugeben.«
»Ich schlage vor, wir warten die Rückkehr des Königs ab und hören, was seine Ansicht ist«, sagte Ruwen.
»Mein Sohn gehört zum Suchtrupp, der König Keandir gefolgt ist«, sagte Fürst Bolandor, während sich seine Stirn umwölkte.
Ruwen zögerte einen Augenblick, ehe sie dann doch jene Frage an den Elbenfürsten richtete, die ihr auf einmal im Kopf umherspukte. »Seid Ihr ihm auch so sehr verbunden, so wie es bei dem König und mir der Fall ist, dass Ihr die Gefahr spürt, in der er sich befindet?«
Ein harter Blick traf die Elbenkönigin aus den dunklen Augen des Fürsten. »Ja, ich spüre die Gefahr, in der mein Sohn
schwebt«, murmelte er. »Und ich fühle auch seine Angst um den König.«
Ruwen schluckte. »Ich habe es gleich gespürt, als Ihr die
Planken dieses Schiffes betratet.«
»Macht Euch keine Sorgen, Königin Ruwen…«
»Es besteht kein Anlass, besonders rücksichtsvoll zu mir zu sein und mir die Wahrheit verschweigen zu wollen«, erwiderte Ruwen kühl.
»Das war auch nicht meine Absicht, Königin.«
»So?«
»Vielleicht wollte ich eher rücksichtsvoll mir selbst gegenüber sein und mich nicht mit dem konfrontieren, was wir beide insgeheim doch wissen.«
Ruwen nickte schwach. Ihre Stimme klang belegt, als sie sagte: »Sie sind beide in Gefahr, nicht wahr? Sowohl Euer Sohn als auch mein Gemahl?«
»Ja.«
»Und beide befinden sie sich an ein und demselben Ort.«
»Auch das erscheint mir so. Doch so sind sie zusammen und nicht jeder allein auf sich gestellt. Und sie leben noch und sind nicht Opfer der geflügelten Bestien geworden. Anders wären unsere Empfindungen nicht zu erklären, meint Ihr nicht auch?«
Ruwen lächelte mild. »Ja, da habt Ihr recht, Fürst Bolandor.« Der Elbenfürst verbeugte sich leicht, wollte sich abwenden,
doch dann zögerte er auf einmal. »Ihr verzeiht mir, wenn ich
Euch noch auf eine andere Sache anspreche, meine Königin.«
»Von was für einer Sache redet Ihr, edler Bolandor?« Bolandor senkte den Blick und machte den Eindruck, als
wäre es ihm höchst unangenehm, es anzusprechen. Schließlich nahm er sich doch ein Herz und erklärte: »Ihr wisst, dass sich Gerüchte verbreiten wie feiner Sand, den der Wind dahinträgt. Man weiß später nicht mehr, woher das einzelne Sandkorn gekommen ist, und doch hat man die gesamte Kleidung voll
davon. Ich weiß nicht, ob Ihr als Seegeborene diesen Vergleich versteht, aber…«
»Worauf wollt Ihr hinaus?«
»Es kam mir zu Ohren, dass Ihr Nachwuchs erwartet. Ist das wahr?«
»Woher wisst Ihr das? Soweit ich mich erinnere, hat es dazu noch keine offizielle Verlautbarung des Königs gegeben, wie es eigentlich üblich wäre.«
»Ihr könnt nichts dagegen tun, dass sich solche Nachrichten verbreiten. Es braucht nur eine der Personen, die Euch nahestehen, ein unbedachtes Wort zu äußern.«
Ruwen verstand, und sie nickte langsam. Dann erhob sie die Stimme und sagte laut: »So mögen es denn alle hören, die Anteil am Schicksal der Königin nehmen: Ja, es ist wahr, ich erwarte Nachwuchs, und für die Elben wird die Geburt des königlichen Nachfahren gewiss ein Freudentag werden. Aber im Augenblick bin ich außerstande, glückliche Gefühle über meinen Zustand zu empfinden, auch wenn viele mir das als herzlos und gefühlskalt auslegen werden.«
Doch Ruwens letzte Worte mochten nicht zu verhindern, dass sich auf die Gesichter der Elben an Bord der »Tharnawn« ein versonnener Ausdruck legte.
11
DER KAMPF IM FEUERKREIS
In die Geräusche, die wie Rattenpfoten klangen, die über Stein schabten, mischten sich schrille Piepslaute, und Branagorn fühlte etwas um seine Füße huschen. Spitze Zähne gruben sich ins Leder seiner Stiefel, und er sprang zurück, zog das Schwert und stach zu, blitzschnell und zielsicher. Sein feines Gehör ließ ihn erkennen, wo sich sein in der Dunkelheit unsichtbarer Gegner befand. Ein schrilles Pfeifen durchdrang den finsteren Raum, in dem er
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