PR 2702 – Das positronische Phantom
1.
21. Juni 1514 NGZ
Pri Sipiera.
Das war also der Kopf des Lunaren Widerstands.
Ein Hauch der Vergessenheit umwehte sie.
Die kleine, drahtige Frau sah ihn an. Der Blick wirkte prüfend, aber nicht unfreundlich.
»Ich hätte nicht gedacht, dass ich dir tatsächlich einmal gegenüberstehen würde«, sagte Pri Sipiera. Ihre Stimme klang klar wie ein Morgen – und ebenso kühl. »Von dem bisschen Bart und dem Rest lasse ich mich nicht täuschen.«
Die Gesichtserkennung von Rhodans SERUN-Positronik schätzte die Frau auf fünfzig bis siebzig Jahre, gab aber keine eindeutige Zuordnung einer in der Datenbank gespeicherten Person aus. Kein Wunder – die Anführerin des Widerstandes musste während der Zeit des Transports geboren worden sein.
Er ging auf Sipiera zu, streckte die rechte Hand aus. Ohne zu zögern, griff sie zu. Ihr Händedruck war sicher und fest – und ein wenig klamm. Die Aufregung. Die meisten menschlichen Hände, die Rhodan schüttelte, waren kalt.
Der Blick der kleinen Frau glitt an ihm vorbei. »Oh«, stieß sie aus. »Und Toufec hast du ebenfalls mitgebracht.«
Der ehemalige Karawanenräuber deutete eine Verbeugung an. »Zu deinen Diensten, Pri Sipiera. Erstaunlich, dass du mich so schnell erkannt hast.«
»Unsere Wissenschaftler und Analysten haben sich intensiv mit den Ereignissen vor dem Transfer befasst«, sagte sie. »Dank NATHAN kennen wir die Namen aller Lebewesen, die in die Anomalie versetzt worden waren. Auf der Suche nach Antworten haben wir alle Steine umgedreht. Delorians Rolle wurde intensiv beleuchtet – und selbstverständlich auch deine, Toufec.«
Rhodan beobachtete, wie Sipiera zuerst Toufec die Hand schüttelte und anschließend Fionn Kemenys Gesundheitszustand überprüfte. Über ihr Multikom-Armband forderte sie einen Mediker samt Medoroboter an.
Die Anführerin des Widerstandes schien sich sehr schnell an die Anwesenheit von ihm und Toufec gewöhnt zu haben. Ein Markenzeichen von Personen, die im Untergrund lebten: Sie mussten ständig auf der Hut, ständig bereit sein, auf Unvorhergesehenes zu reagieren. Jedes Nachlassen, jede Nachlässigkeit konnte das gesamte System in Gefahr bringen. Der Istzustand galt nur so lange, bis sich die nächste Veränderung einstellte. Ein Festhalten gab es nicht – nur die aktuelle Situation.
Rhodan sah sich um. Das Widerstandszentrum war karger eingerichtet, als er dies erwartet hatte. Ein paar Tische mit Sitzgelegenheiten, zwei pultartige Arbeitsstationen mit Analysegeräten, eine Werkbank, auf der ein kegelförmiger Roboter in seine Einzelteile zerlegt verteilt war.
An den Wänden hingen mehrere Folienbildschirme, die in erster Linie den Copernicus-Krater mit Luna City zeigten.
Rhodan kniff die Augen zusammen und ging auf den breitesten der Bildschirme zu.
Größtenteils waren Rhodan die Strukturen seit Jahrtausenden bekannt: das Sörgel-Reservoir in den nördlichen Kratergipfeln, der Moon River, der sich mehrmals verästelte und den großen Lake Huckleberry speiste. Das Luna-Rathaus Darwinium, das Clark G. Flipper Building, das elefantenartige Hotel Lunafant, zu dem sie von Loolon geführt worden waren.
Daneben gab es unzählige Strukturen, die auf Rhodan fremd und unharmonisch wirkten. Das Technogeflecht hatte sich nicht nur über die äußere Kraterkuppel ausgebreitet, auch im Innern von Luna City traten Technoadern aus dem Mondboden, hatten Gebäude und Monumente überwuchert wie Pilz- oder Efeugewächse, hingen die mächtigen Technogirlanden vom Kuppeldach herunter.
Pri Sipiera trat neben ihn. »Es muss seltsam für dich sein, Luna so verändert zu sehen.«
Rhodan machte eine abwägende Kopfbewegung. »Es ist immer etwas Besonderes, mit Veränderungen konfrontiert zu werden. Im Fall von Luna ziehe ich es aber vor, endlich klare Informationen zu gewinnen. Die Ungewissheit hat der Menschheit an den Nerven gezehrt. Der grüne, kränklich erscheinende Mond hat auf Terra zu einem Massenexodus geführt.«
»Ich weiß«, sagte Pri Sipiera. »Ich habe in den vergangenen Tagen Zugriff auf größere Datenpakete zum Thema LFT und Terra gehabt.«
»Ihr habt das LFT-Informationssystem angezapft?«, fragte Rhodan.
Sipiera schüttelte den Kopf. »Dank der sich überstürzenden Ereignisse haben es unsere Hacker geschafft, unbemerkt eine kleine Datenschleuse in einem der onryonischen Systeme zu installieren.«
»Ist diese Datenschleuse noch aktiv?«
Die Widerständlerin nickte. »Allerdings handelt es sich nicht um das
Weitere Kostenlose Bücher