Das Reich der Elben 01
geteilt hatten.
Ithrondyrs Begeisterung für das, was er gesehen hatte, wirkte ansteckend. Umso bedauerlicher war es, dass er es aufgrund widriger Umstände nicht geschafft hatte, bereits an der Küste dieses nahen Kontinents zu landen. Ein geheimnisvoller, seiner Ansicht nach magischer Wind hatte verhindert, dass er mit seiner Mannschaft bis dorthin hatte vordringen können. Auch unter Aufbietung aller seemännischen Fähigkeiten seiner Leute war es nicht gelungen, diese Kraft zu überwinden.
»Das ist ein Land, wie geschaffen, um ein neues Elbenreich zu gründen«, hatte er gesagt, und seine Worte hallten noch in
Ruwen wider. »Aber ob wir es angesichts der Widrigkeiten, die ich geschildert habe, je erreichen werden, ist fraglich.«
Garanthor, der Kapitän des königlichen Flaggschiffs, war in dieser Hinsicht weitaus optimistischer. »Es müsste doch möglich sein, dieses Hindernis mit Hilfe von Magie zu beseitigen«, glaubte er. »Schließlich gibt es kein Volk, das in den Künsten der Zauberei und der Beschwörung der Elementargeister so bewandert ist wie das unsere.«
Die meisten anderen stimmten dem zu. Gerade die Seegeborenen wollten wohl auch glauben, dass da ein ganzer Kontinent nur darauf wartete, von ihnen in Besitz genommen zu werden.
Ruwen teilte diese Zuversicht nicht.
Aber im Augenblick war sie nicht in der Lage, ihren Zweifeln Ausdruck zu verleihen. Tiefe Schwermut hatte ihre Seele ergriffen. Sie wurde von der Sorge um ihren geliebten Mann geplagt. Keandir war noch immer nicht zurück, und auch von Prinz Sandrilas, der ihn mit einem fünfzig Mann starken Trupp suchte, hatte man nichts mehr gehört.
Offenbar waren sie tief ins Landesinnere der Nebelinsel vorgedrungen, sonst hätte man hin und wieder den leisen Klang ihrer Stimmen gehört oder andere Zeichen ihrer Anwesenheit vernommen. Aber nichts dergleichen konnte Ruwen wahrnehmen, so sehr sie auch ihre feinen Sinne öffnete.
Sie hatte kaum geschlafen, seit der König die »Tharnawn« verlassen hatte. Wach hatte sie im Bett gelegen, und immer wieder hatten ihre Hände den Weg zu ihrem Bauch gefunden, in dem neues Leben heranwuchs. Wie das Fanal einer glücklichen Zukunft für das Elbenvolk hatte dies neue Leben in ihr zunächst auf sie gewirkt. Inzwischen waren längst andere Gefühle übermächtig geworden, vor allem Furcht und Verzweiflung. Sie fragte sich, was geschehen würde, wenn
Keandir nicht zurückkehrte. Die Elben verloren dann nicht nur ihren König, sondern auch den Träger all ihrer Hoffnungen. Der Kronrat würde über einen Nachfolger entscheiden müssen, noch bevor ein Kind Keandirs das Licht der Welt erblickte.
Sie hörte den Gesprächen der Männer und Ithrondyrs weiteren Schilderungen zu, aber sie erschienen ihr auf eine seltsame Weise unwirklich. Wie Stimmen aus einer anderen Zeit. Das Echo einer anderen Wirklichkeit, die mit dem, was die Königin tatsächlich erlebte, nicht das Geringste zu tun zu haben schien.
Sie ging ein paar Schritte an der Reling entlang. Niemand sprach sie an. Man respektierte ihre Zurückgezogenheit, denn jeder konnte sich ausmalen, wie es in der Elbenkönigin aussah.
»Ihr dürft nicht in düstere Gedanken versinken«, hörte sie hinter sich eine Stimme sagen. Es war Nathranwen, die Heilerin. Sie beobachtete mit Sorge die gemütsmäßige Veränderung, die mit Ruwen vor sich ging. »Ihr habt Grund zur Freude und zur Zuversicht.«
»Wenn mein geliebter Kean sicher und wohlbehalten zu mir zurückkehrt – dann ja«, flüsterte Ruwen. »Dann wäre es mir auch gleichgültig, ob wir auf ewig mit unseren Schiffen die See durchpflügen und uns in richtungslosen Nebelmeeren verirren oder ob es hier die Hoffnung auf ein neues Elbenreich gibt, so wie viele es meinen.«
»Nein, in keinem Fall sollte Euch dies gleichgültig sein, Ruwen. Auch dann nicht, wenn König Keandir nicht zu Euch zurückkehren sollte.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob dann noch irgendetwas eine
Bedeutung für mich hätte.«
»Und das ungeborene Leben, das Ihr unter dem Herzen tragt?«
Tränen glitzerten in Ruwens Augen. »Ich habe meine
Zweifel, ob ich genug Kraft dafür hätte. Nicht, um es zur Welt
zu bringen, sondern um…« Sie sprach nicht weiter. Ihr Blick glitt in die Ferne und verlor sich in den wieder dichter werdenden Nebelschwaden. »Ich weiß nicht, ob ich die Kraft hätte, einem Elbenkind zu vermitteln, welchen Sinn seine Existenz hat, wenn doch alles im Lebensüberdruss endet.«
»Mir scheint, Ihr droht selbst dieser üblen
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