Das Reich der Katzen (German Edition)
Natur
entsprechend herumstöbern und schnuppern konnte. Diese Stimme rief etwas in ihr
hervor, was sie noch nicht einzuordnen wusste. Was aber ihr bisheriges Leben in
Frage stellte.
Saschas Liebkosungen kamen ihr an diesem Abend plötzlich
aufdringlich vor. Ihr angenehmes Leben ödete sie mit einem Mal an, und Onisha
konnte sich selbst nicht mehr ausstehen. Sehnsüchtig beobachtete sie in den folgenden
Tagen die übermütigen Balgereien der anderen Katzen im Garten. Beneidete sie um
ihre ungezügelte Lebensfreude. Wie gerne würde ich mit ihnen ein Schwätzchen
halten, dachte sie und war erstaunt über die Heftigkeit dieses Wunsches, den
sie noch nie zuvor verspürt hatte.
Tief in ihrem Inneren fühlte sich Onisha einsam.
Bisher hatte sie darüber noch keinen Gedanken verschwendet, doch
jetzt hatte er sich einmal in ihrem Kopf festgesetzt und ließ sie nicht mehr
los. Das Unbekannte lockte, das Abenteuer. Wie gerne hätte sie das Gefühl kennengelernt,
ihre Pfoten in frische Erde zu vergraben oder ihre Krallen in herbduftende
Baumrinde zu schlagen. Oder wäre einfach, wie die beiden jungen Katzen jetzt,
in langen Sätzen über den Rasen gejagt. Die Stimme ihrer Mutter, die sie immer
gemahnt hatte, dass es für sie nicht schicklich war, ausgelassen herumzutoben,
wurde immer schwächer und verklang schließlich. Onisha seufzte. Sie rollte sich
zu einer Fellkugel zusammen und schloss die Augen. Schlief sofort ein. Was nicht
besonders ungewöhnlich war. Ebenso, dass sie postwendend träumte. Doch diesmal
waren die Träume wieder bedrohlich. Unruhig bewegte sich Onisha im Schlaf.
Kämpfte mit den Traumgestalten, die ihr allesamt fremd und doch gleichzeitig
bekannt vorkamen, auch wenn sich das widersprach.
Laut maunzend wachte sie wieder auf, rappelte sich schweißgebadet
hoch und blieb eine Weile sitzen. Versuchte ihre verwirrten Gedanken zu ordnen.
Sie hatte so intensiv geträumt, dass sie sich die berechtigte Frage stellte, ob
es real oder wirklich nur ein Traum gewesen war, und ob es noch andere Wesen
außer Menschen und Tiere gab. Womöglich Mischgestalten?
Eine bessere Bezeichnung dafür fiel Onisha nicht ein.
Die Wesen, die ihre Traumwelt beherrscht hatten, wiesen alle
menschliche und tierische Merkmale auf. Und sie standen irgendwie über den
Dingen. Beherrschten die Welt. Darin trieb auch ein Käfer, ein giftgrüner
Käfer, sein Unwesen. Er schien eine große Bedeutung in dieser fremden Welt zu
haben. Doch ihr schien es, als sei der Käfer durchaus ein Glücksbote. Ein gutes
Omen.
Woher sie diese Erkenntnis nahm, war ihr schleierhaft, aber sie
war unumstößlich in ihr.
Onisha hatte nicht zum ersten Mal von dieser ihr fremden und
verwirrenden Welt geträumt. Die Bilder in ihrem Kopf ließen sie aber jetzt
nicht mehr los. Sie waren es schließlich, die in ihr immer mehr den Wunsch
nährten, endlich hinaus in die Welt zu gehen. Zumal eine unbekannte Stimme neuerdings
eindeutig Befehle in ihr flüsterte: Suche den Berg, von Menschenhand geschaffen,
der bis in den Himmel reicht ... und das Wort Sachmet, Sachmet ...
Wer oder was auch immer das sein mochte.
Das war der ausschlaggebende Punkt, der Onisha bestätigte, dass
es Zeit war, sich von ihrem beschaulichen Leben zu verabschieden.
Eines Tages war es endlich so weit. Das spanische Hausmädchen
ließ die Tür einen Spalt auf und Onisha huschte hindurch. Sie rannte kopflos im
Zickzack durch den Hausflur und hatte erneut Glück. Die Frau aus dem Penthouse
in der ersten Etage öffnete eben die Haustür und rief Onisha, als diese an ihr
vorbeischoss, ein kurzes »Hey, wo willst du denn hin?« hinterher.
Onisha schenkte ihr keine Beachtung, sondern raste in einen
benachbarten Garten. Dabei schlotterte sie am ganzen Leib. So sehr, dass sie
strauchelte und beinahe mit der Nase voran auf den Rasen gestürzt wäre.
Ein hämisch kicherndes Zischen erklang.
Onisha fuhr herum und da war sie: die Punkerin.
Mit forschem Blick musterte diese Onisha und verzog das Gesicht
zu einem breiten Grinsen.
»Ach du grüne Neune. Die eingebildete Pute aus dem Penthouse. Du
bist wohl auf der Flucht!«, sagte sie laut. »Was ist los? Ist dir der Kaviar
ausgegangen?«
Onisha fauchte nervös. Was wollte die Punkerin von ihr?
Die fuhr, als Onisha beharrlich schwieg, unbeeindruckt fort:
»Bist du verstummt? Hat es dir die vornehme Sprache verschlagen? Du bist doch
die, die immer mit arroganter Miene auf der Fensterbank sitzt und auf uns herabblickt.
Was verschlägt denn Eure Hoheit
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