Das Reich der Katzen (German Edition)
Onisha ließ sich dazu herab, nach jedem Mahl
verwässerte Sahne zu trinken. Anders konnte man es nicht ausdrücken. Dabei
schlabberte sie nicht so unappetitlich wie Wald-undWiesen-Katzen. Nein, Onisha
trank in kleinen manierlichen Schlucken, ohne dabei auch nur einen einzigen
Tropfen des köstlichen Getränks neben das Schüsselchen zu kleckern. Ihre rosa
Zunge schnellte flink vor und zurück. Und sie vermochte es, dabei wohlige Laute
der Zufriedenheit auszustoßen. Auch wenn ihre Mutter ihr beigebracht hatte,
dass man nicht mit vollem Maul sprach.
Durch Sascha von Hohenberg war somit Onishas leibliches Wohl
gesichert, ohne dass sie sich auch nur den klitzekleinsten Gedanken darüber
machen musste. Sie konnte sich auch nicht vorstellen, für sich selbst zu
sorgen. Immerhin hatte sie den größten Teil ihres Lebens in dem Penthouse
verbracht. Sie war es nicht gewohnt, Mäuse zu fangen. Allein bei dem Gedanken
und der blutigen Vorstellung schüttelte es sie schon. Fleisch essen war die
eine Sache, aber es selbst zu erlegen eine völlig andere. So begrüßte sie die
saftigen Brocken auf ihrem Silbertellerchen jeden Morgen und Abend mit
zustimmenden Schnurrlauten, stolzierte mit Trippelschrittchen herbei und aß
artig und mit Muße. Es widerte sie an, wenn sie die Straßenkatzen im Garten
beobachtete, die Mäuse schlugen und sie dann gierig hinunterschlangen. Sich
nicht einmal die Zeit ließen, ordentlich zu kauen, sondern alles in sich
hineinschaufelten. Bei diesem Anblick schraubte sich Onishas Magen regelmäßig
hoch. »Prolos«, pflegte sie dann hochnäsig zu sagen.
Nein, das wäre kein Leben für sie.
Umso mehr genoss sie Saschas wohlwollende Fürsorge. Ihre Freude
brachte sie zum Ausdruck, indem sie ihm, wenn er nach Hause kam, zur Begrüßung
mit hoch erhobenem Schwanz um die Beine strich. Abends kroch sie zu ihm ins
Bett und kuschelte sich in die Seidenlaken. Denn dahin gehörte sie schließlich.
Sie war rundherum zufrieden mit ihrem Leben und zählte sich zu der am meisten
bevorzugten Katze, die das Universum je hervorgebracht hatte.
Onisha wusste, dass Sascha von Hohenberg das bewunderte, was ihre
Wesensart ausmachte: jene Mischung aus unabhängigem Raubtier und sanftem,
anschmiegsamem Wesen. Auch wenn das Raubtier in ihr in ewigem Dämmerschlaf lag.
Verborgen unter dem wenig artgerechten Lebensstil, den sie führte. Für Sascha
war sie ein besonderes Wesen. Onisha ertappte sich dabei, dass sie sich
innerlich oftmals über ihn lustig machte. Besonders wenn er mit ihr sprach, als
habe er seine beste Freundin vor sich. Schmunzelnd hörte sie sich seine
Schmeicheleien an und dachte ohne Böswilligkeit, dass er doch einen kleinen
Tick hatte. Und das war gar nicht so abwegig. Denn immerhin war er ja ein
Mensch!
Gottlob gehörte er nicht zu der bornierten Sorte dieser Spezies,
die die Meinung vertraten, Katzen könnten nicht sprechen . Er wusste
genau, dass Onisha über ein sehr reichhaltiges „Vokabular“ verfügte. Da war das
unruhige Spiel ihrer Ohren, das heftige Schlagen ihres Schwanzes oder der
mürrische Gesichtsausdruck auf ihrem runden Persergesicht. Aber sie wusste auch
stimmlich zu überzeugen. Mal stieß sie, wenn sie zum Beispiel eine Fliege sah
und ihr das Wasser im Maul zusammenlief helle, aufgeregte Meckergeräusche aus,
dann wieder, wenn sie aus einem unersichtlichen Grund sauer war, grollte sie in
dunkelsten Tönen. Als ob ein wild gewordener Panther im Wohnzimmer säße. Onisha
wusste, dass Sascha sie anbetete, und nahm seine Bewunderung erhaben wie eine
Königin entgegen. Das wiederum ließ ihn lächeln. Ein weiteres Merkmal ihres
Perser-Charakters war die Ruhe, die sie ausstrahlte und die er nach einem
anstrengenden Tag liebte. Manchmal lümmelte er auf der Couch und ließ sie nicht
aus den Augen. Wie sie vor der Heizung saß mit genau nebeneinander gestellten
Vorderpfoten, den buschigen Schwanz manierlich darübergelegt, und Sascha aus
ihren tiefgründigen Augen ansah. Liebevoll und als könne sie kein Wässerchen
trüben.
Sascha ertappte sich dann dabei, sie am liebsten auf ihre kleine
Nase küssen zu wollen.
Onishas Leben war überschaubar. Sie liebte die Regelmäßigkeit
ihres Tagesablaufs. Keine unvorhersehbaren Gefahren und keine Kümmernisse. Das
hatte sie bisher glücklich gemacht. Doch auf der anderen Seite war ihr Leben
gerade deswegen auch sturzlangweilig. In ihr hörte sie plötzlich eine Stimme,
die sie aufforderte, hinaus in die Gärten zu laufen. Wo sie ihrer
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