Das Reich der Katzen (German Edition)
finde ich alles andere als erfreulich. Ich hatte mir das
anders vorgestellt!«
»Und ich habe Recht behalten. Du mäkelst an allem herum und
beschwerst dich und beschwerst dich und beschwerst dich«, fuhr Fleur fort und
zog eine Grimasse. »Das ist wirklich kaum auszuhalten. Dabei bist du nicht das
Maß aller Dinge.«
»Das habe ich auch nie behauptet!«, verteidigte sich Onisha,
stimmte Fleur aber innerlich zu. Sie war wirklich sehr von sich eingenommen.
Gewesen? Nein, irgendwie war sie es immer noch. Ist das die Stimme des Blutes?,
fragte sie sich. Wohl kaum, so einfach konnte sie es sich nicht machen und sich
auf ihre Herkunft herausreden, gab sie sich selbst die Antwort. Ihre Arroganz
war zwar anerzogen, eine unliebsame und höchst überflüssige Beigabe ihrer überzüchteten
Rasse.
Aber da war noch etwas.
Erstmals spürte sie, dass tief in ihr reiner animalischer Instinkt
schlummerte. Instinkt, der darauf wartete, an die Oberfläche ihres Wesens zu
gelangen. Onisha fürchtete sich noch davor, was er zutage bringen würde. Aber
sie wusste, dass es unaufhaltsam war, nur noch eine Frage der Zeit, wann sich
ihr wahres Ich hervorkämpfte. Und sie war ehrlich gesagt auch reichlich
neugierig darauf.
»Du verhältst dich aber so. Entweder bist du wirklich so versnobt
oder du bist schon als Nervensäge zur Welt gekommen«, fuhr Fleur aufgebracht
fort.
»Ich befürchte Letzteres«, gestand Onisha und erntete einen
erstaunten Seitenblick.
»Was war denn das?«, fragte Fleur gedehnt. »Ein Anflug von
Selbsterkenntnis? Ich fasse es nicht ... Madame von und zu lässt sich herab,
einen Fehler einzugestehen Dass ich das noch erleben darf. Ungeheuerlich.«
»Du musst ja jetzt nicht unbedingt darauf herumreiten. Ich denke,
wir wollten weitergehen. Ist das nicht wichtiger, als über meine Verfehlungen
nachzudenken?« Onisha war das Thema unangenehm.
Fleur warf ihr noch einmal einen Blick zu und setzte sich dann
tatsächlich in Bewegung. Mit grimmiger Entschlossenheit ignorierte Onisha den
Schmerz der wunden Ballen ihrer Pfoten und folgte ihr.
Der Tag neigte sich dem Ende zu. Endlich, dachte Onisha, endlich
kann ich mich ausruhen. Fleur hatte sich in ein Gebüsch zurückgezogen. Onisha
kroch hinter ihr her. Was nicht einfach war. Überall blieb sie mit ihrem langen
Fell hängen. Es ziepte zwar heftig und sie riss sich etliche Haarbüschel aus,
aber sie verkniff sich jegliches Jammern. Stumm ließ sie sich neben Fleur
nieder und blickte sich um. Ihr war nicht wohl in ihrer Haut. Dunkle, verzerrte
Schatten bewegten sich durch die Büsche. Onisha zog fröstelnd und, wenn sie
ehrlich zu sich selbst war, auch angstschlotternd den Kopf zwischen die
Schultern. Auffrischender, beißender Wind teilte plötzlich das Strauchwerk,
Dornenzweige klatschten in Onishas Gesicht. Sie maunzte schmerzerfüllt auf.
»Es gibt ein Unwetter«, sagte Fleur überflüssigerweise und
blickte besorgt in den Himmel. Wieder hetzten Schatten über den Boden. Sie
tänzelten gespenstisch durch die undurchdringliche Schwärze. Waren das die
Gestalten, die Onisha schon einmal gesehen hatte? Die mumifizierten Menschen
mit den bronzefarbenen Hautfetzen? Oder der hochgewachsene Mann mit dem
Falkenkopf? Oder gar diese alles überragende Skulptur? Dieses steinerne Gesicht
mit Königsbart und Königskopftuch auf einem Löwenleib?
Onisha schloss die Augen.
Das Heulen des Sturmes nahm zu. Und auch seine Stärke. Fleur
kroch tiefer in das Gebüsch hinein. Onisha hinterher. Schutz suchend presste
sie sich eng an Fleurs zierlichen Körper. »Hoffentlich hört das bald auf!«,
rief sie mühsam gegen die Stimmgewalt des Sturmes an.
»Quassle jetzt nicht«, kreischte Fleur zurück. »Drück dich auf
den Boden und halte die Rübe runter.«
Onisha hatte keine Zeit mehr, gegen den rüden Tonfall zu
protestieren. Die nächste Windböe fegte heftig über sie hinweg. Nahm ihr den
Atem und presste sie unsanft zu Boden. Sie schloss erneut die Augen und
schickte das erste Stoßgebet ihres Lebens gen Himmel. Das erste ernst gemeinte
zumindest.
Als das Unwetter endlich verebbte, hatte Onisha endgültig die
Nase vom Abenteuerleben voll. »Mir reichts. Ich gehe zurück nach Hause«,
verkündete sie und kroch aus dem Gebüsch. Sie hatte das Gefühl, mindestens
tausend Dornen in ihrem Fell zu haben. Und ihre Pfoten sahen auch nicht besser
aus. Sie waren mit blutigen Krusten übersät. Onisha seufzte. Sie bot einen
erbärmlichen Anblick.
Fleur saß schon vor den Büschen auf
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