Das Reich der Katzen (German Edition)
unter das normale Fußvolk?«
Onisha zischte empört. So etwas war ihr noch nie untergekommen.
In dem Tonfall hatte noch niemand mit ihr gesprochen. Onisha wusste nicht
weiter. Also setzte sie die hochmütigste Miene, die sie in ihrem Repertoire
hatte, auf. Wohl auch um der fremden Katze nicht zu zeigen, wie viel Angst sie
in Wirklichkeit hatte.
Die Punkerin zeigte sich völlig unbeeindruckt. »Ich heiße Fleur
und du?«, fragte sie geradeheraus.
»Onisha«, presste Onisha hervor.
»Schöner Name«, erklang es widerwillig. »Aber du bist ja auch die
Crème de la Crème der Katzen. Zumindest hältst du dich dafür!« Fleur zeigte
deutlich, dass sie keine allzu hohe Meinung von Onisha hatte.
Onisha antwortete nicht, sondern sah sich um. Sie hatte andere
Sorgen. Aus dem sicheren Penthouse wegzulaufen war die eine Sache, doch hier
draußen auch zu leben die andere. Es stellte sie vor einige Probleme. Hier war
kein prall gefüllter Futternapf und sie hatte keine Ahnung, was sie nun mit
ihrer Freiheit anfangen sollte. Sie richtete den Blick in die Ferne, ohne recht
zu wissen, was sie dort überhaupt suchte. Doch sie wäre eher gestorben als
Fleur zu fragen, was sie jetzt tun sollte.
»Die Gesprächigste bist du aber auch nicht. Du bist ja noch
langweiliger, als ich dachte.« Fleur streckte sich und drehte Onisha das
Hinterteil zu. »Tschüs!«, maunzte sie und ging.
»Warte!«, kreischte Onisha. Sie wusste, wenn sie Fleur jetzt
nicht zurückhielt, war das nächste Essen mehr als in Frage gestellt. Dann würde
sie wider Willen mit ihrer lange vor sich hergeschobenen Diät Ernst machen
müssen.
Fleur drehte sich im Zeitlupentempo herum. In ihren wunderschönen,
ungewöhnlich blauen Augen funkelte es amüsiert. »Willst du etwa mitgehen?«,
fragte sie ironisch. »Dem Schickimicki-Leben den Rücken kehren? Das wäre mal
was Neues. Aber ich warne dich, hier draußen gibt es nicht nur Gartenzwergidylle.
Hier draußen tobt das wahre Leben.«
Onisha schüttelte den Kopf. »Du hast eine komische Art, dich
auszudrücken«, erwiderte sie gestelzt.
Fleur konnte das jedoch nicht aus der Ruhe bringen. »Willste
jetzt mitkommen oder nicht?«, fragte sie lässig.
»Ich wäre sehr erfreut, wenn du mich mitnimmst«, antwortete
Onisha.
»Na gut, schaun wir mal, wie weit wir zu zweit kommen«,
antwortete Fleur wenig begeistert und ging voraus und murmelte vor sich hin:
»Ich muss verrückt sein, mir solch einen Klotz an das Bein zu hängen!«
Onisha lief hinter der Herumtreiberin her. Der Boden unter ihren
empfindlichen Pfoten war hart und uneben. Spitze Steine und Schotter quälten
ihre Ballen. Das war ganz und gar nicht das, was sie sich in ihren Abenteuerträumen
ausgemalt hatte. Sie wusste zwar nicht genau, was sie erwartet hatte, aber das jedenfalls nicht. Hinzu kam, dass Fleur ein Affentempo an den Tag legte. Schon
nach wenigen Metern war Onisha völlig aus der Puste. »Ist es erforderlich, so
zu rennen?«, keuchte sie unwillig.
»Ist es erforderlich, ist es erforderlich«, äffte Fleur sie nach,
lief aber nun wenigstens etwas langsamer. »Mir ist wirklich schleierhaft, wie
du so leben konntest«, fuhr sie munter fort. »Ich wäre vor Langeweile
gestorben. Die Menschen sind doch alle vollgefressene Sesselfurzer.«
Onisha stieß einen empörten Laut aus. »Na, du hast aber ein
Vokabular!«
Fleur kicherte. »Ich kann noch ganz anders.«
Das glaubte Onisha ihr aufs Wort. Doch in diesem Augenblick
verspürte sie nicht das geringste Verlangen nach einer Kostprobe. Sie hatte
genug Probleme, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen. Die Luft war stickig und
lastete schwer auf ihr. Onishas Atem ging flach und unregelmäßig. Zum ersten
Mal fragte sie sich, welcher Teufel sie geritten hatte, ihr bequemes Leben aufs
Spiel zu setzen. Und verfluchte sich insgeheim dafür.
Ob Sascha von Hohenberg schon verzweifelt nach ihr suchte?
Fleurs Geplapper drang in ihre Gedanken: »und nun kommen wir
gleich zum Wald der wandernden Schatten.«
Sie hatten in der Zwischenzeit eine viel befahrene Landstraße
erreicht. Onisha irritierten die vorbeibrausenden Autos ebenso wie Fleurs
letzter Satz. »Wald der wandernden Schatten?«, fragte sie erschrocken,
stolperte und machte einen unkontrollierten Satz nach vorn. Dabei stieß sie
Fleur so heftig an, dass diese beinahe auf die Straße gestürzt wäre. Ein
schnittiger Sportwagen fuhr haarscharf an ihnen vorbei. Im allerletzten
Augenblick riss der Fahrer das Lenkrad herum, fuhr einen scharfen Bogen
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