Das Reich der Schatten
die Schattengestalt. »Auf deiner Insel und auch hier. Halt uns nicht für einfältige Narren.«
Ragnars Gedanken überschlugen sich. Er starrte auf diese eigenartigen Wesen und bemühte sich, einen Sinn in ihren Worten zu erkennen. »Ich werde niemanden grundlos töten!« Nun hatte Ragnar genug, er wollte versuchen, an dem Schattenwesen vorbeizukommen, zumal jetzt nur noch der Fuchs im Weg stand, der andere war auf einmal verschwunden. Vielleicht war das seine Chance. Aber plötzlich spürte er einen Stich in seinem rechten Arm. Als er sich umsah, steckte ein winziger Pfeil darin, und vom eingebrochenen Rand der Höhle her starrte ihn eine schattenhafte Fratze grinsend an. Kurz darauf verdichtete sie sich wieder zu der männlichen Gestalt und stellte sich neben den Fuchs. Instinktiv zog Ragnar den Pfeil heraus, aber er fühlte bereits eine lähmende Kälte in sich aufsteigen und torkelte nach hinten.
»Noch ist es nicht zu spät«, schmeichelte der Fuchs. »Öffne den Pfad nach Elvancor, dann wirst du leben.«
Schritt für Schritt wich Ragnar zurück, seine Augen suchten nach einem Ausweg. Doch überall ragten steile Felswände empor, und die Schattenkreaturen schnitten ihm immer wieder den Weg ab. Lediglich rechts von ihm gab es eine Lücke zwischen den Felsen. Vielleicht konnte er dort schnell hindurchschlüpfen, und wenn er Glück hatte, tat sich dahinter ein weiterer Pfad auf, der ihn ins Freie führte.
»Töte – diesen – Mann«, verlangten der Fuchs und der Blonde wie aus einem Mund.
Ragnar wollte losspurten, sich an ihnen vorbeiquetschen, aber diese seltsame Kälte breitete sich weiterhin in ihm aus, ließ seine Bewegungen langsam und schwerfällig werden. Vor seinen Augen verschwamm alles, er strauchelte, rutschte auf dem feuchten Untergrund aus. Die Welt um ihn herum fing an, sich schnell zu drehen, wurde zu einem Wirrwarr sich vermischender Farben. Ragnar überschlug sich mehrfach, prallte schmerzhaft gegen einige Steine, dann krachte sein Kopf auf einen Felsen. Alles wurde dunkel.
Wie aus weiter Ferne konnte Ragnar Stimmen vernehmen, doch nur zögernd drangen sie durch den Schleier, der sich um ihn gelegt hatte.
»Seid ihr wahnsinnig?«, vernahm er aufgebrachte Worte, dann ein Jaulen.
»Wir wollten doch nur …«
»Schweigt! Weshalb konntet ihr nicht warten?«
Ein Gesicht erschien über ihm, schemenhaft, mit grauen Haaren. »Hättet ihr Narren nicht den Pfeil verwendet, hätte er möglicherweise überlebt, aber nun ist alles verdorben!«
»Er versuchte zu fliehen. Wie konnten wir erahnen, dass er stolpert und stürzt«, erfolgte eine wimmernde Antwort.
Ganz allmählich konnte sich Ragnar wieder erinnern. Er befand sich in der Esperhöhle. Erst jetzt spürte er, wie entsetzlich kalt ihm war, sein linker Arm war taub, und als er den Kopf heben wollte, hatte er das Gefühl, Tausende Dolche würden durch seinen Körper fahren.
»Werft diesen Bauern ins Klingloch, anschließend verschwinden wir. Wie konnte ich mich jemals mit euch einlassen? Geschwächt durch unser Gift hätte er den Pfad nach Elvancor ohnehin nicht öffnen können …« Die Stimmen entfernten sich, und Ragnar versuchte, sich auf die Seite zu drehen. Leider missglückte auch dies, ihm wurde übel und schwarz vor Augen. Verzweifelt rang er nach Luft, tastete nach Lenas Handy in seiner Hosentasche, fand es jedoch nicht. Hatte er es bei dem Sturz verloren? Quälende Minuten rang er nach Luft, bemühte sich, die Panik niederzukämpfen. Bestimmt hatte er sich mehrere Knochen gebrochen, mit Sicherheit eine Gehirnerschütterung und sich vielleicht sogar innere Verletzungen zugezogen. Noch ein paar Mal kämpfte er darum, aufzustehen oder sich zumindest kriechend vorwärtszubewegen, aber jedes Mal musste er nach kurzer Zeit aufgeben, denn ihm schwanden die Sinne.
Lena, vielleicht kommt sie her? , dachte er und fragte sich im gleichen Atemzug, ob er sich das wirklich wünschen sollte. Was, wenn diese Schattengestalten dann noch in der Nähe waren?
Ragnar bemühte sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen, um nicht von der Panik übermannt zu werden. Langsam drehte er sich auf den Rücken. Stille herrschte in der Höhle, er war allein. Die Kälte des feuchten Bodens drang allmählich durch seine Kleider. Plötzlich nahm er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Ragnar drehte leicht den Kopf und blinzelte. Es waren die drei Kelten. Abermals waren sie gekommen und betrachteten ihn nun mitleidig. Die Frau streichelte über sein Gesicht. Wie
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