Das Reich des dunklen Herrschers - 8
vorüberzogen. Die Sonne war soeben untergegangen. Menschen zogen vorüber, Menschen auf der Hut, dazu Farben, Geräusche, hektische Betriebsamkeit.
Es war ein schäbiger Ort, mit eng aneinander gedrängten Gebäuden. Halte Ausschau! Die Gassen waren eng und finster. Fremde starrten. In den Straßen stank es. Keines der Gebäude besaß mehr als zwei Geschosse, dessen war er sicher. Die meisten nicht einmal die.
Wieder vernahm er das Geräusch, dort wo sein Körper wartete. Eindringlich forderte es seine Aufmerksamkeit.
Er ignorierte das beharrliche Pochen irgendwo weit weg, an einem anderen Ort, hielt Ausschau und versuchte zu erkennen, in welche Richtung sie sich bewegten. Was war das? Er glaubte es zu wissen, war sich aber nicht absolut sicher. Sieh hin. Er wollte sich Gewissheit verschaffen. Er wollte sie beobachten.
Wie er das Beobachten genoß.
Dann schon wieder das Geräusch, dieses unangenehme, fordernde, pochende Geräusch.
Plötzlich spürte Nicholas seinen Körper um sich herum, als er schlagartig an den Ort zurückkehrte, wo dieser, die Beine auf dem Holzfußboden übereinander geschlagen, seiner harrte. Er schlug die Augen auf, blinzelte, versuchte sich in dem düsteren Raum zu orientieren. Dann erhob er sich und stand, an das seltsame Gefühl, sich wieder in seinem eigenen Körper zu befinden, noch nicht wieder gewöhnt, einen Moment unsicher auf den Beinen. In letzter Zeit war er so oft unterwegs gewesen, tags und nachts, daß er es nicht mehr gewohnt war, diese Dinge aus eigener Kraft zu tun. So oft hatte er sich an einem anderen Ort, in einem fremden Körper befunden, daß es ihm nun schwerfiel, sich auf seinen eigenen einzustellen.
Jemand hämmerte gegen die Tür und forderte ihn lautstark auf zu öffnen. Der ungebetene Besucher, diese dreiste Störung, erzürnte Nicholas über alle Maßen.
Es war ihm lästig, sich aus eigener Kraft bewegen, seine eigenen Muskeln benutzen zu müssen, sich selbst atmen zu spüren, zu sehen, zu hören, zu riechen und mit seinen eigenen Sinnen zu empfinden.
Die Tür war mit einem schweren Riegel versperrt, um zu verhindern, daß ungebetene Besucher hereinkamen, während er an anderen Orten weilte.
Wieder hämmerte jemand von der anderen Seite gegen die Tür, blaffte seinen Namen und verlangte, eingelassen zu werden. Nicholas hob den schweren Riegel an, wuchtete ihn zur Seite und stieß die massive Tür auf.
Im Flur unmittelbar vor ihm stand ein junger Soldat, ein ganz gewöhnlicher, verwahrloster, einfacher Soldat. Ein Niemand.
Nicholas starrte den niederen Mann, der es gewagt hatte, die Treppe zu diesem Raum, zu dem der Zutritt, wie jedermann wußte, verboten war, hinaufzusteigen und an die verbotene Tür zu klopfen, mit einer Mischung aus Wut und Verblüffung an. Wo steckte bloß Najaris platte, krumme Nase, wenn man sie brauchte? Wurde diese Tür denn nicht bewacht?
Aus dem Handrücken der blutbesudelten Faust, mit der der Soldat gegen die Tür gehämmert hatte, ragte ein zersplitterter Knochen.
Nicholas reckte den Hals, spähte an dem Soldaten vorbei in den matt beleuchteten Flur und sah die Leichen einiger Wachtposten in einer Lache ihres eigenen Blutes liegen.
Er richtete den Blick auf den großäugigen, einfachen Soldaten, den er in wenigen Augenblicken töten würde. Der Bursche war gekleidet wie viele Soldaten der Imperialen Ordnung - zumindest die besser ausgerüsteten unter ihnen. Er trug einen ledernen Brustharnisch, einen ärmelartigen Schutzpanzer am rechten Arm sowie eine Reihe von ledernen Riemen und Gürteln, in denen eine Vielzahl unterschiedlicher Waffen steckten. So bedrohlich seine Ausrüstung wirken mochte, der Ausdruck auf seinem Gesicht verriet Bestürzung und Entsetzen.
Einen Augenblick lang überlegte Nicholas verwirrt, was ein derart nichtiger Mensch wohl vorzubringen haben mochte, daß er bereit war, sein Leben dafür herzugeben.
»Was gibt’s, nichtsnutziger Narr?«
Der Mann hob einen Arm, dann seine Hand und schließlich einen Finger - auf eine Art, die Nicholas an nichts so sehr erinnerte wie an eine Marionette, deren Fäden jemand anderer hielt. Der Finger neigte sich zur einen, dann zur anderen Seite und schließlich wieder zurück, wie bei einem Menschen, der einen mit erhobenem Finger drohen will.
»Tz, tz, tz.« Der Finger schnellte abermals zur Seite. »Ihr solltet etwas höflicher sein, sehr viel höflicher sogar.«
Der Soldat, die Augen aufgerissen, schien selbst von seinen hochtrabenden Worten überrascht. Die
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