Das reine Karma 2

nicht auf höchste Geisteswerte fixiert und werden heilig. Wenn sie aber Heiligkeit über die Liebe stellt und ein Kind von dem Heiligen bekommt, dann bringt sie einen Schuft und Schurken zur Welt. Der Heilige und der Schurke sind Gott gleichermaßen nah, doch Bestrafung und Belohnung fallen bei ihnen verschieden aus. Deshalb überprüfen und revidieren Sie Ihr Leben und denken Sie daran, dass das Gefühl der Liebe der einzige Leitstern ist.“

    Ich gehe zusammen mit einer Frau über den Korridor zu ihrem Dienstzimmer.
    „Hier“, zeigt sie auf einen Raum, „ist die kostenlose Kantine für unsere Mitarbeiter.“
    Ich lächle. Sozialistische Prinzipien, die der Staat vergessen hat, erleben bei russischen Unternehmern eine Wiedergeburt.
    Das Treffen mit der Frau findet statt, weil der Fall sehr interessant scheint: Ein Mensch, der als Unternehmer arbeitet, von Geld überhaupt nicht abhängig ist und anderen hilft, sieht plötzlich, dass die Situation um ihn herum ins Wanken gerät.
    Wir gehen ins Dienstzimmer und unterhalten uns.
    „Wissen Sie“, erzählt die Frau. „Ich war neulich im Ausland und habe dort eine Hellseherin konsultiert. Sie sagte, dass bei mir alles schlecht steht und ich sterben kann. Und sie sagte auch, dass mir zwei Menschen helfen können — einer davon sind Sie.“
    Ich betrachte ihr Feld und sehe dort den möglichen Tod. Außerdem den Tod von Mann und Kind. Eine Ursache, die ich früher Abhängigkeit vom glücklichen Schicksal genannt hätte. Die Frau muss wohl Enttäuschungen im Leben durchgemacht haben, doch sie vermochte nicht, sie voll und ganz zu akzeptieren, sich zu reinigen und das Gefühl der Liebe zu bewahren. Früher hätte ich ihr nur das gesagt. Heute beginne ich anders.
    „Der Mensch findet zu Gott Vater auf verschiedenen Wegen. Über Gott Sohn — indem er alles Materielle entwickelt und die Zivilisation schafft. Über Gott Heiliger Geist — indem er Geistiges und Kultur entwickelt. Und direkt über das Gefühl der Liebe zu Gott. Früher strebte der Mensch nach Geistigem und entfernte sich immer mehr vom Irdischen, machte Geistiges zum Sinn seines Lebens. Letztendlich führte das zu Degradation. Um sich zu entwickeln, sagte er sich im nächsten Leben von Geisteswerten los. Geld und materielles Wohlergehen wurden für ihn zum Lebenssinn. Und in dieser Periode war er Gott am nächsten. Es setzte sozusagen die ,Epoche der Renaissance’ in der Seele des Menschen ein. Er rückte vom Geistigen ab, doch er war noch nicht vollkommen dem Physischen ergeben. Aber dann verfiel er immer mehr den irdischen Gütern und begann, Unglück heraufzubeschwören, zu erkranken und zu sterben. Indem er die Anziehung des Irdischen überwand, strebte er erneut nach Geistigem, aber bereits auf neuer Ebene.“

    Dasselbe geschah mit der ganzen menschlichen Zivilisation. Der Osten strebte nach Geistigem, doch die Verabsolutierung des Geistes führte zu Dogmen, ideologischer Verkrustung, Kasten und Despotismus. Man sagte sich vom Geistigen los. Der Westen brachte die Zivilisation und Demokratie hervor. In Russland kämpften beide Tendenzen ständig gegeneinander, doch immer siegte die Verabsolutierung des Geistigen. Deshalb endeten demokratische Reformen mit ihrer Unterdrückung. Auch Elemente von Kastendenken und Dogmatisierang von Ideen waren immer vorhanden. Wenn beispielsweise der Vorgesetzte mit Vornamen und Vatersnamen und „Sie“ angesprochen wird, der Untergebene aber mit „du“, so sind das Elemente des Kastendenkens. Dasselbe ist der Fall, wenn man auch den Älteren mit „Sie“ anspricht. Im Westen, besonders in Amerika, hat die Orientierung auf irdische Werte die Kastenunterschiede beseitigt und die Demokratie als Schutz der Persönlichkeitsrechte, ihrer materiell-gegenständlichen Hülle entwickelt. In Amerika warst und bleibst du John, egal ob du alt oder jung, reich oder arm bist. Das unterstreicht, dass wir vor Gott alle gleich sind. Und diese Orientierung, die dogmatische geistige Stereotype zerstört, ist eine Grundbedingung für die Entwicklung der Zivilisation.
    Doch damit der Mensch nur an Geld denkt und die Zivilisation entwickelt, braucht er eine starke geistige Grundlage, die er sich früher geschaffen hat. Sonst kommt es anstelle von Entwicklung zu Degradation. In der Regel haben im Westen die Geschäftsleute geistige Reserven aus früheren Leben.
    Bei russischen Geschäftsleuten ist ein solcher Vorrat bei weitem bescheidener. Deshalb müssen sie sich im Bewusstsein viel