Das Rennen zum Mars
indes selbst nicht im klaren war. Kein Astronaut sah sich gern als Versager. Jeder von ihnen mußte damit rechnen, jederzeit von der Liste gestrichen zu werden, und vielen Leuten war das auch schon passiert.
Doch diese Liste war die Krönung eines ganzen Lebens – ein Fahrschein erster Klasse. Nicht nur, weil jeder Heimkehrer mit Reichtümern überhäuft werden würde – das war ein neues Element in der Raumfahrer-Laufbahn, weil die NASA ihre Mitarbeiter normalerweise nach der Tabelle des öffentlichen Diensts besoldete. Der eigentliche Grund war der, daß der Mars ein erhebendes Ziel war, wodurch das unvermeidliche Risiko zu einem Wagnis von überragender historischer und wissenschaftlicher Bedeutung stilisiert wurde.
Und Viktor mußte zuhause bleiben.
Er hockte auf der Couch, schaute TriVid, das neuartige 3D-Fernsehen und süffelte Schwarzbier. Er konnte einiges vertragen, das mußte man ihm lassen. Er hatte die fünf Flaschen als exaktes Fünfeck vor sich arrangiert.
»Ich werde doch zu Axelrod gehen.«
»Ich will aber nicht, daß du für mich bettelst.« Er sah sie mit diesem ernsten Eulenblick an.
»Ich glaube sowieso, daß vier Leute zuwenig sind. Ich könnte das als Aufhänger nehmen …«
»Vier Leute sind der Maßstab für das Lastenheft.«
»Schau, das Pflichtenheft am JSC hat doch besagt …«
»Daß sechs Leute besser wären. Natürlich wäre es das. Aber es ist auch teurer.«
»Wir haben nicht einmal einen Arzt dabei, um Gottes willen – nur mich.«
»Du hast doch die Ausbildung als Rettungssanitäterin.«
»Aber das genügt nicht! Was, wenn ich eine Herzoperation durchführen müßte oder …«
»Ihr seid alle in hervorragender – ich betone – in her-vor-ra-gen-der Verfassung. Mit einem Herzinfarkt ist da wohl kaum zu rechnen.«
»Ist schon recht, aber wir bräuchten trotzdem einen Ersatzpiloten, nicht wahr?«
»Das sagst du nur, weil ich Luft- und Raumfahrtingenieur bin.«
»Und wenn der Pilot verletzt wird? Wenn ein Biologe sich ein Bein bricht, dann interessiert das kein Aas. Doch ohne Pilot ist man aufgeschmissen.«
»Marc ist ein guter Pilot.« Er prüfte den Pegelstand in der Bierflasche.
Sie begriff, daß Viktor ihr mit diesem Gedankensprung sagen wollte, daß er auf keinen Fall mitfliegen würde. »He, ist das etwa typisch für euch Russen, daß ihr euch so phlegmatisch ins Schicksal fügt?«
Er riß den Kopf hoch und starrte sie mit offenem Mund an. »Was bedeutet phlegmatisch?«
»Tranig.«
»Und was heißt tranig?«
»Bin ich vielleicht ein Thesaurus? Moment, ein Thesaurus ist …«
»Ich weiß, was ein Thesaurus ist.«
»Es bedeutet, daß du auf dem Hintern sitzt und nichts tust.«
»Die ganze Welt sitzt träge auf dem Hintern und erlebt das glorreiche einundzwanzigste Jahrhundert vorm TriVid.«
»Ja, da ist was dran.« Sie seufzte und plumpste neben ihm auf die Couch. »Und sie werden uns zuschauen.«
»Dir. Ich werde auch zugucken.«
»Nein, du bist mit von der Partie. Ich weiß zwar noch nicht wie, aber ich werde es schon deichseln, daß du auch mitkommst.«
»Du redest auch schon so.«
»Wie denn?«
»Ist dir eigentlich schon aufgefallen, daß heute alle so reden?«
»Ach so. Wie Axelrod.«
»Südstaaten-Akzent.«
»Du meinst, wir übernehmen seine Verhaltensweisen?«
»Und seine Betrachtungsweisen. Ich habe jedenfalls den Eindruck.«
»Ist mir noch gar nicht aufgefallen.«
»Ich glaube, das geht schon in Ordnung. Ist schließlich sein Geld.«
»Und die Dollars von Microsoft und Boeing und Lockheed, und nicht zu vergessen die Rubelchen von der guten, alten russischen Energija AG.«
»Der Witz ist so alt, daß er schon einen Bart hat.« Plötzlich drehte er sich um und umarmte sie wie ein Bär. »Im Kapitalismus beutet der Mensch den Menschen aus. Im Kommunismus ist es umgekehrt.«
»Ich weiß, worauf du hinauswillst.«
»Es ärgert mich auch, daß wir geschaßt worden sind, aber welche Alternative haben wir?«
»Ich kann …«
»Nein, ich. Ich werde es selbst tun.«
Außer … sie umarmte ihn stürmisch, vermochte sich aber nicht vorzustellen, daß er eine Chance hatte. Sie spürte, wie die Sehnsucht ihn quälte.
Drei der anderen waren einfach verschwunden. Lee Chen, ihr Ausbilder in Exobiologie, der erst vor kurzem dem Astronautenprogramm beigetreten war. Gerda Braun, eine deutsche Ingenieurin, die zusammen mit Claudine Jesum, einer französischen Pilotin, von der europäischen Raumfahrtbehörde ESA an die NASA ausgeliehen worden war.
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