Das rote Band
und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. „Ich habe viel zu oft immer wieder auf dich gehört.“
Schweißperlen traten auf Victorians Stirn. Es musste ihm gelingen, sie zu überzeugen. „Eine Frage, Eloïse: Warum hast du mich eben aus dem Saal geholt?“
Sie presste die Lippen aufeinander und schwieg.
„Weil du mich magst?“, schlug er vorsichtig vor.
Eloïses Augenbrauen zogen sich zusammen. „Verdammt, ich mag dich trotz allem viel zu sehr, als es für mich gut ist, und deshalb gehe ich jetzt.“
Sie wollte sich abwenden, doch Victorian griff nach ihrem Handgelenk. Ihre Worte hatte seine Hoffnung bestärkt, dass noch nicht alles verloren war. „Eloïse, bitte komm mit in den Festsaal.“
Argwohn trat in ihre Augen. „Warum?“
„Vertrau mir ein letztes Mal.“ Beschwörend sah er sie an.
„Ich weiß, was du vorhast, Victorian.“ Ihre Stimme klang müde. „Du willst dich mit mir verloben, um deinen Ruf zu retten.“
Er blinzelte. „Ja, ich will dir einen Heiratsantrag machen, aber nicht meines Rufes wegen.“
„Und warum dann?“, rief sie aufgebracht. „Wegen meines Reichtums? Als Wiedergutmachung, weil du allen erzählt hast, dass ich meine Unschuld in deinem Bett verloren habe? Aus Rache an Amira?“
„Nein!“, stammelte er verzweifelt. „Eloïse, ich …“
Hinter ihnen schwangen die Türen des Festsaals auf, und Korin kam zu ihnen auf den Gang hinaus. „Die Trauung ist vorbei“, verkündete er. Dann sah er besorgt seine Schwester an. „Eloïse, ist alles in Ordnung?“
Victorian war der Verzweiflung nah über diese Unterbrechung. „Korin“, sprach er den jungen Mann an, „gewährt mir noch einen Moment alleine mit Eurer Schwester.“
„Sicher nicht!“, erwiderte Korin kalt. „Sie hat Euretwegen schon genug durchgemacht, Victorian.“
Korin hatte laut gesprochen, und die Gäste im Saal drehten die Köpfe und sahen zu ihnen hinaus wie Zuschauer auf eine Bühne mit Schauspielern. Ian und Joanna, die gerade die Gratulationen von Lady Claudine und Lady Violett entgegennahmen, blickten ebenfalls zur Tür.
Lady Violett rümpfte die Nase. „Ist dieser ungehobelte Kerl dort draußen tatsächlich Victorian of Walraven?“, erkundigte sie sich laut.
„Er ist es“, bestätigte Lady Claudine. „Der Sohn des Dukes benimmt sich heute äußerst skandalös.“
„Unfassbar, bei einem Mann seines Ranges.“ Violett schüttelte den Kopf. „Erst wollte er den armen Viscount of Highfalls töten, und jetzt bedrängt er noch die junge Lady.“
Victorian blickte sich um. Mittlerweile genossen er und Eloïse die Aufmerksamkeit des ganzen Saales, doch Zuhörer waren das Letzte, was er gebrauchen konnte. Aber, wenn er Eloïse nicht verlieren wollte – und danach sah es gerade aus –, musste er handeln, so sehr ihm die Preisgabe seiner Gefühle vor so vielen Menschen auch zuwider war.
Flehentlich sah er sie an und sprach weiter: „Ich war nicht am Königshof wegen Amira, sondern wegen dir. Ich habe dich gesucht! Eloïse, ich mochte dich, als du noch Korin warst, weil ich in dir einen echten Freund gefunden zu haben glaubte. Und, als sich herausstellte, dass du eine Frau bist, war ich zu dumm zu erkennen, wie gut es das Schicksal mit mir meinte: mir eine Frau zu zeigen, die ich achte, der ich vertraue und die in mir den Mann sieht und nicht nur den nächsten Duke of Walraven.“ Er senkte den Kopf. „Die Nacht mit dir in Walraven war wundervoll. Aber ich hatte Angst, mich zu dir zu bekennen, weil du nicht den richtigen Stand für mich hast. Doch statt für uns zu kämpfen, habe ich dich fortgehen lassen und mich in Ausreden geflüchtet.“
„Und dich mit Amira verlobt.“
Er hob den Blick. „Ich habe mich mit Amira verlobt, weil es die Bedingung meines Vaters war, nach Greystone zurückkehren zu dürfen – zu dir!“
Ihre Augen wurden groß. „Du hättest Amira geheiratet, nur um weitere drei Monate mit mir in Greystone zusammen sein zu können?“
Er lächelte schmerzlich. „Besser als nichts.“
„Du hättest mich für immer haben können, Victorian“, sagte sie leise.
Victorian trat auf sie zu, ergriff ihre Hand und legte die Kette mit der Muschel hinein. „Eloïse, ich bitte dich um Verzeihung. Ich habe mich dir gegenüber arrogant verhalten, ein schlechter Charakterzug, auf den ich öfter schon dezent hingewiesen worden bin.“ Er blickte kurz zu Raine und Harper, die neben der Tür standen. „Aber es dauert bekanntlich, bis man zur Selbsterkenntnis findet.
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