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Das rote U

Das rote U

Titel: Das rote U Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Matthießen
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dann
weiß der Derendorf gleich, wer’s getan
hat!“
    Das war schlau, ohne Zweifel,
und Knöres , der Kluge, klopfte dem Mädchen
auf die Schulter: „Kind“, sagte er, „aus dir kann noch mal
was werden.“
    Da lachten sie alle. Und als
sie nun weitergingen durch den Regen, malten sie sich ihr neues Abenteuer immer
feiner aus – einer wusste jedes Mal noch besser als der andere, wie es
werden würde. Erst als sie in die schmale Kapuzinergasse einbogen, wurden
sie stiller. Und nun standen sie vor dem engen kleinen Fenster, hinter dem ein
schmutziges Pappschild hing, ganz besät von Fliegendreck und so staubig,
dass man nur die großgedruckten Buchstaben lesen konnte:
     
    KARL DERENDORF
    Schuhmacher
     
    „Die Vögel hat er
nach hinten raus“, erklärte Döll, „hier vorne
schläft er nur...“
    „Na, dann geh mal
rein“, sagte Silli , „wir spazieren
langsam bis an die nächste Ecke. Er wird dich ja nicht fressen.“
    Döll schaute sie
verächtlich an. „Der?“ Er machte eine Faust und stemmte den
Arm an. „Pack nur mal, was hier für Muskeln sitzen! Ich bin vor dem Deuwel nicht bange!“
    Und er ging in den niedrigen
Hausgang hinein. Kein Licht brannte, und im Düstern musste Döll sich
vorwärts tappen. War der Schuster nicht zu Hause? Der Junge sah
nämlich, wie er ein paar Schritte weiter war, auch keinen Lichtschimmer
durch die gläsernen Oberlichter der Werkstatttür fallen. Himmel, das
wäre eine Gelegenheit, dachte er, wenn nun die Türe vielleicht offen
wäre?
    Er klopfte an. Aber drinnen
blieb alles still. Er hörte nur das klägliche Piepsen von
Vogelstimmen.
    „Herr Derendorf “,
rief er und klopfte noch einmal, „ich bringe Schuhe!“ – Aber
keine Antwort. Und nun drückte er die Klinke herunter... Die Tür war
verschlossen.
    Was sollte er machen? Einfach
umkehren, das fiel ihm nicht ein. Jetzt war er einmal hier und wollte
fertigkriegen, was er vorhatte. Das tat Döll immer. Und wenn der Lehrer
noch so eine schwere Schularbeit aufgab – der Döll setzte sich daran,
knirschte mit den Zähnen, zerbrach vielleicht ein halbes Dutzend Federn,
verschmierte ein halbes Heft – aber die Sache drangeben, das tat er
nicht. Immer wieder fing er von neuem an, und wenn es stundenlang dauerte. Aber
am Morgen in der Schule, dann stand’s auch da. Zwar
in Dölls dicker, klobiger Schrift, aber sauber und ordentlich, und fast
immer ohne Fehler.
    So war Döll. Und drum
dachte er auch jetzt: „Wenn der Derendorf Zeit
hat, dann hab’ ich sie auch!“ Aber so untätig warten, das
wollte er nun auch nicht. Er knipste also zuerst einmal die elektrische
Taschenlampe an. Zwar leuchtete auch von der Straße her die Laterne in
das Flürchen , aber der fahlgrüne Strahl
ging nur so ein paar Meter hinein, und dann war’s wieder finster.
    Zuerst leuchtete der Junge
einmal das Schlüsselloch ab. Es konnte ja sein, dass der Schlüssel
von drinnen steckte, und der Schuster schlief nur. Das kam ja oft vor, dass der Derendorf sich einen Rausch antrank, dann den halben
Tag auf seinem Bett verschnarchte und seine
Vögel vergaß. Jedes Kind wusste das... – Aber nein, der
Schlüssel war abgezogen. Döll musste also schnell bei der Hand sein,
wenn er etwas ausrichten wollte, denn jeden Augenblick konnte der Schuster
zurückkommen.
    Er leuchtete weiter. Und der
Lampenschein traf auf eine niedrige Hoftür. Richtig, da fiel es ihm ein
– das einzige Fensterchen der Schusterbude ging ja nach dem Hof zu. Und
wirklich, die Tür war auf. Rasch schlüpfte er hindurch – denn
draußen hatte er schwere Schritte gehört. Das musste der Schuster
sein. Gewiss war er nur um die Ecke in der Wirtschaft gewesen. Ja, da kam er
schon. Döll war bereits im Hof, aber er erkannte ihn an der Stimme. Denn
der Schuster brummte und fluchte vor sich hin, wie er es oft tat, wenn er nicht
mehr ganz nüchtern war.
    Jetzt hörte Döll ihn
mit dem Schlüssel klappern, und rasch leuchtete er noch einmal auf dem Hof
herum... Ja, das Fenster lag ziemlich hoch, aber da stand eine alte Handkarre,
die schob der Junge schnell an die Mauer heran, kletterte hinauf – und
richtig, es ging. Er konnte in die Schusterbude hineinschauen. Gerade ging die
Türe dort auf, und der kleine, schwarze Kerl kam herein. Jetzt suchte er
nach den Streichhölzern, schon brannte eines, schwarze Hände tasteten
nach der Petroleumlampe, das Streichholz ging aus, ein neues wurde angerieben,
und nun brannte die Lampe.
    Ein Wunder, dass er sie nicht
umschmeißt! – dachte

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