Das rote U
getreten
war. Mit Kähnen hatten sie von Haus zu Haus gemusst, auf Kähnen waren
die Lebensmittel gebracht worden, auf einem Kahn kam der Arzt zu den Kranken,
und vom Kahn aus stieg er gleich in das Fenster des ersten Stocks. Ja, so
seufzte, so wehte, so gluckerte der Rhein in den entsetzlichen Nächten der
Überschwemmung durch die widerhallenden Altstadtgassen. Und auch hier,
unter dem öden Hause, musste also der Rhein fließen.
Knöres war wieder ganz ruhig, und
wenn es ihm auch noch ein wenig schaurig um das Herz war, so stieg er doch noch
einmal bis ganz in den Keller hinab und leuchtete über den Boden. Bald
hatte er es denn auch gefunden: an der Seite des Kellers lag in den Ziegeln des
Bodens eine große Steinplatte mit einem mächtigen Eisenring. Der
Junge packte zu und zog mit seiner ganzen Kraft. Aber nur um einen Zoll hob
sich die Platte. Doch dem Knöres genügte
das. Der Schein seiner Lampe war in ein bodenloses senkrechtes Loch gefallen,
und drunten gurgelte das Wasser des Rheines.
Tief atmete er auf. Aber dann
dachte er wieder mit Schauder an das Rote U. Was musste das für ein Mensch
sein, dass er sie an diesen schauerlichsten Ort der ganzen Stadt lockte? Wo der
Rhein durch einen schwarzen Kanal hineinstöhnte... Wie viele Menschen
mochten schon dorthinab verschwunden sein!
Eisig überlief es den
Jungen, und so schnell er konnte, sprang er jetzt hinauf, klappte leise die
Falltür hinter sich zu, dann über den Schemel in das Loch auf die
Bretter, die er schnell wieder in Ordnung brachte, hinunter von dem Holz und
durch den Hof. Noch eine Weile stand er nun von innen vor dem Tore und
lauschte. Aber niemand kam. Nur der Regen klatschte über die Straße.
Im nächsten Augenblick war er draußen, eben schlug die Kirchenuhr
das erste Viertel. War es viertel nach sechs? Nach sieben? Nach acht? Der Junge
meinte, viel über eine Stunde hätte er in dem öden Hause
gesteckt, und so rasch er konnte, lief er dem Rheine zu. Ja, da war die Rampe
87, und da standen auch die Kameraden.
„Wo bleibst du so
lange?“ rief ihm Boddas entgegen. „Es ist
schon viertel nach sechs! Ist die Luft rein?“
Knöres winkte ab. „Nicht mehr
nötig, Leute! Hier ist der Zettel – ich war schon drin...“
„Wo drin? Doch nicht in
der Villa...“
„Nennen wir sie lieber
das Haus zu den hundert Morden!“ sagte Knöres großartig.
„Hast du Leichen
gefunden?“ fragte Silli schaudernd.
„Nein, die hat der Rhein
alle abgetrieben... Aber was will denn nun das Rote U von uns?“
Sie entfalteten den Zettel und
lasen mit der Taschenlampe:
„Heute ist Freitag. Der Schuster Derendorf in der Kapuzinergasse hat einen ganzen Haufen Vögel. Und die sollt Ihr ihm
bis morgen Abend alle fliegen lassen.
Das Rote U.“
Eine merkwürdige Namenstagsfeier
An diesem Freitagabend war die
ganze Räuberbande bei Dölls Mutter eingeladen. Das war fast jeden
Freitag so. Und sie freuten sich schon die ganze Woche darauf. Freilich roch in
jeder Woche, die der liebe Gott werden ließ, schon seit Menschengedenken
des Freitags die ganze Altstadt nach Rüböl, von vormittags bis
spät in den Abend. Aber so feine Reibekuchen, wie sie die dicke Frau
Döll buk, gab’s auf der ganzen Welt nicht mehr.
An diesen Abenden saßen
also die jungen Räuber friedlich um den blankgescheuerten Eichentisch in
dem großen Hause, zusammen mit Vater und Mutter Döll, mit allen
Dienstleuten, den Verkäufern und Lagerknechten, den Fuhrmännern und
Laufjungen. Eine Schüssel Reibekuchen nach der andern, hochgetürmt,
kam auf den Tisch, und im Nu waren die leckeren gelbbraunen Kuchen wieder
verschwunden. Aber dann war schon wieder eine neue Schüssel da. Und so
ging’s wohn eine Stunde lang. Die Kinder bekam Pflaumenkompott dazu, die
Großen Schwarzbrot und schwarzen Kaffee – immer sprudelte das
Wasser dafür auf dem Herde, und die riesengroße Kaffeekanne wurde
einmal ums andere aufgeschüttet. Großmutter Döll, die keine
Reibekuchen vertragen konnte, saß dann immer in ihrem Ohrensessel in der
Ecke und mahlte unermüdlich Kaffee.
Heute schmeckte es den Gesellen vom Rote U ganz besonders gut, denn sie waren nass und
durchfroren, und unter ihren Stühlen um ihre Füße bildeten sich
bald kleine schmutzige Wasserlachen. Aber davon merkten sie jetzt nichts. Die
Kuchen waren so angenehm heiß, das Kompott so fein kühl, und was das
Schönste war – sie wussten jetzt, dass das Rote U gar nicht so
schlimm war. Keine Einbrüche, nichts Böses hatte
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