Das rote U
es nur so krachte. Denn die
Zehnuhrpause war eben um, die anderen Kinder saßen schon alle auf ihren
Plätzen – da kamen noch, ganz zu allerletzt, eine gute Weile nach
dem Lehrer, zwei Jungen hereingetolpert ins
Klassenzimmer. Rasch ging ihr Atem, und hochrot waren ihre Köpfe.
„Ihr Lümmel!“
rief der Lehrer, „warum kommt ihr nicht sofort, wenn es geschellt hat?
Und immer sind es dieselben! Wie oft soll ich es euch noch sagen?“
„Ich habe mir noch
drüben bei der Frau Schmitz eine Feder geholt“, sagte der eine
Junge, „und es waren so viele Leute im Geschäft, da musste ich
warten...“
„Zeig mal her die
Feder!“ sagte der Lehrer.
Der Junge kramte eine Weile in
allen Taschen, aber gar nicht ängstlich, vielleicht wollte er nur den
Lehrer ärgern – und schließlich hielt er dann die blitzblanke
Feder hoch.
„Schert euch auf eure
Plätze!“ sagte der Lehrer, „und wenn das noch mal vorkommt mit
euch zweien, dann hat es gerappelt!“
Die Jungen drehten sich um und
trampelten zwischen den Reihen der Bänke ins Klassenzimmer zurück.
Der Lehrer konnte nicht sehen, wie sie alle beide verstohlen grinsten. Denn
jeder hatte immer eine neue Feder oder einen neuen Bleistift, ein neues
Federdöschen oder etwas Ähnliches in der Tasche – nie
hätte der Lehrer sie auf einer Lüge ertappen können. Wochenlang
blieben aber auch diese Federn neu und blank, und ängstlich wurden sie
geschont... O ja, das hatte schon seine Gründe!
„Lesebücher
raus!“ befahl der Lehrer.
Klappern, Seitenrascheln,
Bücherblättern in der ganzen Klasse – und der Junge mit der
Feder wollte das kleine spitze Ding wieder in ein Papierchen wickeln, - da, auf einmal – ruck! – saß er ganz stille und
starrte mit weiten Augen in sein Lesebuch. – Was war denn das? Wer hatte
den Zettel da hineingetan? Der war doch vorher noch nicht darin gewesen! Als es
schellte, zur Pause, hatten sie gerade von Karl dem Großen gelesen, und
der Lehrer hatte gesagt: „Nachher lesen wir weiter...“, ja, und
gerade bei Karl dem Großen lag jetzt der Zettel!
Mit dem Ellenbogen stieß
der Junge leise seinen Nachbarn an – der war der andere von den Zuspätgekommenen ...
„ Boddas “,
hauchte er, „sieh mal hier... das war im Lesebuch...“
Eigentlich war der Familienname
des Jungen ja nun Boden, Wilhelm Boden, aber Wilhelm Boden, so sagte nur der
Lehrer. Die anderen Jungen sagten einfach Boddas .
Schon seit Jahren war das so. Und gar nichts war mehr daran zu ändern. Der
Wilhelm Boden wusste gewiss selber nicht mehr, wie er richtig hieß...
„Boden, ließ
voran!“ hörte er da wie aus weiter, weiter Ferne den Lehrer rufen.
Der Junge wusste nicht wo und
was. Er machte nur seinen Mund, der ein bisschen zu klein war, so rund wie ein
Karpfen. Aber dann stotterte er: „Als Karl der Große U von
seiner...“
„Was liest du denn da
für einen Unsinn?“
Schon verbesserte sich Boddas : „Als Karl der Große von seiner Romfahrt
zurückkehrte, da befahl er seinen Räten, sich Punkt sechs Uhr in der
Villa...“
Der Lehrer schlug auf das Pult.
„Setz dich!“
Und ein anderer musste
weiterlesen.
Boddas schämte sich. Sonst war
er doch wirklich der Dümmste nicht. Lesen konnte er wie nur einer. Die
Zeitung las er schon von oben bis unten, und wenn er einen Karl May erwischen
konnte, dann las er den auch, sogar die schweren Namen konnte er lesen, und
Hadschi Halef Omar ben Hadschi Abul abbas ibn Hadschi Dawuhd el Gossarah – diesen meilenlangen Namen konnte er sogar auswendig. Aber jetzt!
– Nein, da hätte der Lehrer ja selber nicht lesen können!
Dieser Zettel im Lesebuch seines Freundes Mala hatte
ihn ganz außer Rand und Band gebracht...
Mala ? Ja, so hieß der Junge
seit dem vorigen Jahr, wo sie in der Schule Spanien durchgenommen hatten. In
Spanien gab es nämlich einen Berg, der hieß Maladetta .
„Das heißt: Die Verfluchte“, hatte der Lehrer erklärt.
Und weil nun der Matthias Schlösser so schrecklich fluchen konnte –
zum Beispiel sagte er immer „Blut und Blasbalg!“ oder gar
„Gruft und Leichenstein!“ – da riefen ihn die anderen Jungen
jetzt einfach statt mit seinem ehrlichen Vornamen Matthias nur noch Mala . Und bei Mala blieb es.
„ Mala ,
zeig mal“, flüsterte Boddas jetzt,
„ich war noch nicht fertig...“
Aber Mala saß da, mit hochrotem Kopfe, die Hände wie eine Mauer schützend
um das Buch gelegt. Und Boddas hörte ihn tief
und rasch atmen. Erst als Boddas ihn noch einmal
anstieß, schaute
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