Das rote U
Tiefe.
Vor der Schule warteten schon
Döll und Knöres . Die waren beide ein Jahr
jünger als Mala und Boddas ,
doch schon tüchtige Kerle. Man sah auch gleich, dass sie zu der Bande
gehörten, denn die Mützen hatten sie schief auf dem Kopf sitzen, die
Hände tief in den Hosentaschen, und alle Augenblicke spuckte Knöres in weitem Bogen über die halbe
Straße weg wie ein alter Rheinschiffer.
Döll – er war der
einzige, der wirklich so hieß – Döll war der
größere und stärkere von beiden. Knöres – kein Mensch wusste, weshalb er so genannt wurde – war der
kleinste von allen, aber auch der flinkste. Augen hatte er wie ein
Mäuschen, so schwarz und so rund, und auch seine Zähnchen waren so
weiß und so klein und so spitz. Der Döll aber, wohl zwei Hände
breit größer, hatte einen dicken kantigen Kopf, raues borstiges
Haar, einen breiten Mund und dicke Fäuste. Wehe dem ,
der ihm in die Finger geriet! Dann machte er ein paar Augen, als spritzte Feuer
heraus, und mit seinen Fäusten schlug er drein wie mit
Schmiedehämmern.
Aber jetzt war Silli zu ihnen getreten, und sie lächelte boshaft aus
den Augenwinkeln: „Seht mal den Boddas und den Mala “, sagte sie – die beiden kamen
nämlich gerade die Schultreppe heruntergestolpert – „die haben
sicher Maikäfer in den Ohren...“
„Oder der Lehrer hat
ihnen Süßholz gegeben“, zischelte Knöres .
Das hörte Mala noch. „Du kannst gefälligst deinen Mund
halten, Knöres “, sagte er, „und
jetzt kommt mal alle mit... Es sind da Geschichten passiert...“
Sie sahen ihn erschrocken an.
Und nun nickte Boddas auch: „Fürchterliche Sachen, ja! Wir
müssen sofort darüber reden. Ich denke, wir gehen an den
Rhein...“
„Ja, aber was...?“
fragte Silli .
„Willst du wohl
schweigen!“ fuhr Mala sie an, und böse
schaute er zu dem buckligen Ühl hinüber,
der eben an ihnen vorbeilief, gerade seiner Mutter in die Arme, die ihn fast
jeden Morgen abholte. Eine feine Frau war sie, die Frau Landgerichtsrat
Bernhard, und deshalb war der arme Ühl den
anderen Jungen noch viel lächerlicher. Mit spitzen höhnischen
Mündern machten sie’s ihm immer nach: „Guten Tag, Mama.“
– „Sieh da, mein lieber Junge.“ Für so etwas hatten sie
wirklich nur ein Lachen übrig.
„Nein“, sagte Mala jetzt, „an den Rhein, das ist auch nichts... Da
könnte uns doch einer belauschen, und dann wäre natürlich alles
verloren! Gehen wir lieber zu Dölls... Wie ist es, Döll, arbeitet ihr
heute auf dem Speicher?“
„Ich glaube nicht“,
sagte Döll, „und wenn auch mal ein Arbeiter raufklettert und einen
Sack Mehl holt, dann halten wir uns einfach mucksstille, und er schiebt wieder
ab...“
Dölls Eltern hatten
nämlich ein großes Mühlenlager, und bald huschten denn auch die
Kinder durch den breiten Torweg, unter den Mühlenwagen durch. Niemand
bemerkte sie, sogar Dölls Mutter nicht, die gerade über den Hof kam;
dort hatte sie in einer Bütte unter dem Kranen Spinat gewaschen. Döll
sah sie mit dem großen Drahtkorb dicht neben dem Wagen hergehen, unter
dem er gerade steckte, und er lachte über das ganze Gesicht. Denn Spinat
mit Eiern, das war sein Lieblingsessen. Davon konnte er drei Teller verschlingen.
Jetzt waren sie in dem
Wagenschuppen, und geschwind wie Wieselchen huschten
sie die mehlbestaubte Holztreppe hinauf, Döll stieß die
Speicherklappe hoch, einer nach dem anderen verschwand dahinter, dann machten
sie die Klappe leise wieder zu, turnten über die Säcke mit Mehl,
Erbsen, Mais und Hühnerfutter weg, und bald hockten sie zusammen in ihrem
alten Winkel unter den Dachsparren.
Die Kisten und Kasten dort
hatten sie wie eine Mauer herumgestellt, und so konnten wirklich nur die Katzen
sie hier finden.
„Hat einer seine
Taschenlampe da?“ fragte Boddas , als sie nun in
ihrem Winkel zusammenhockten. Denn kaum ein Lichtstrahl fiel zwischen den
schweren Dachpfannen durch.
„Taschenlampe?
Wozu?“ fragte Silli .
„Das wirst du schon
sehen!“ knurrte Mala , „ Boddas , hast du den Zettel?“
Der Lichtkegel eines
elektrischen Lämpchens flirrte durch die Finsternis, und Millionen
Mehlstäubchen tanzten in dem weißen Strahl.
„Also diesen Wisch hier,
den Boddas da in den Fingern hat“,
erklärte Mala jetzt, „fand ich heut nach
der Zehnuhrpause in meinem Lesebuch, gerade bei Karl dem Großen. Boddas und ich und Knöres waren in der Pause ein bisschen drüben im Klostergarten, drum sind wir
auch zu spät gekommen... Wir konnten
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