Das rote U
wenn das Rote U
hineinkonnte, dann konnten sie’s doch hundertmal!
„Jetzt sind wir bei
87...“, sagte Boddas , und wirklich, kaum hatte
er’s ausgesprochen, da lösten sich von dem dunklen
Steingeländer zwei Gestalten.
„Losung?“ rief
ihnen Boddas mit unterdrückter Stimme entgegen.
„Schatten an der
Kirchhofsmauer“, klang es zurück. – Denn dies Erkennungswort
hatten sie am Morgen ausgemacht. Es waren also Knöres und Döll.
„Wir wollen ganz langsam
weitergehen“, zischelte Döll, „habt ihr den Polizisten
gesehen?“
„ Mala meint, das Rote U hätte ihn herbestellt“, sagte Silli .
Ängstlich schauten sie
sich um. Aber der Polizist ging jetzt gemächlich in der entgegengesetzten
Richtung.
„Ich traue ihm doch noch
nicht! Meinte der schlaue Knöres , „geht
mal ruhig weiter, ich werde mich an ihn ranmachen und sage euch dann
Bescheid.“
„Hier bleibst du!“
rief Mala , „du verrätst noch die ganze
Kiste!“
Aber Knöres war schon fort, verschwunden in Regen und Nacht. Die anderen drückten sich
eng an einem breiten Laternenkandelaber zusammen, und als Knöres noch einmal zurückschaute auf die Rheinwerft, da sah er niemanden mehr; nur
das fahle Licht der Gaslaternen flackerte im Wind, und im Düster spritzte
der Regen über die Straße. Aber auch der Polizist war plötzlich
verschwunden. Ob er in die Straße hineingegangen war und nun an dem
öden Haus auf- und abspazierte ? Das wäre
freilich dumm gewesen. Doch es half nichts – Knöres musste es untersuchen!
Er begann langsam zu traben.
Denn das konnte am wenigsten auffallen. Der Polizist würde einfach meinen,
er wäre gerade mit dem Fährboot gekommen oder über die
Brücke von der anderen Seite, und wollte nun eilig heim. Das würde er
ihm auch sagen, wenn er ihn fragen sollte. Und er brauchte nicht einmal zu
lügen. Denn diesen Nachmittag war er wirklich in Oberkassel gewesen bei
seiner Großmutter und hatte ihr ein Pfund Kaffee und ein Pfund
Kandiszucker gebracht – der war nämlich hier besser und beinahe
einen Groschen billiger als drüben.
Richtig, da kam auch schon der
Polizist, und Knöres , der eben an der Villa Jück vorbeitrabte, wollte schon an ihm vorüber,
da fiel ihm etwas anderes ein. Pucks! - hielt er vor dem Tschako an und sagte:
„Herr Polizist, bin ich
aber froh, dass ich Sie hier treffe!“
„Was gibt’s denn,
mein Junge?“ fragte der Polizist freundlich, „da hast du dir aber
schlechtes Wetter ausgesucht!“
„Ja, ich komm grade von
meiner Großmutter auf der anderen Seite... und hier an der Villa Jück bin ich immer ein bisschen bang... Sie wissen ja,
was damals für Kerle drin gehaust haben... Macht es Ihnen was aus, wenn
ich mit Ihnen gehe bis hinten an die Kirche?“
„Gewiss nicht, Junge
– aber heute brauchst du wirklich keine Angst mehr zu haben. Die ganze
Bande sitzt noch im Gefängnis. Na, dann komm nur... Soll ich dir auch eine
Hand geben?“
„Das ist nun gerade nicht
nötig, Herr Polizist. – Müssen Sie denn die ganze Nacht hier
herumspazieren? Das ist aber wirklich kein Vergnügen!“
„Nein, nein“, sagte
der Schupo, „heut hab ich keinen Nachtdienst. Du kannst ja mit mir gehen
bis an den Karlsplatz, da werde ich um sechs abgelöst...“
Aber so weit mitzulaufen, daran
lag dem guten Knöres nun im Augenblick gerade
nichts. Er wollte doch, so schnell es ging, zu seinen Leuten zurück.
„Nein, danke“,
sagte er drum, „ich muss an der Kirche links herein, ich wohn’ in
der Bergerstraße.“
Jetzt waren sie eben an dem
dunklen Haus mit dem Esel vorüber. Daneben lag eine Schreinerei, und im
Weitergehen sah Knöres , dass das Tor zum Hof,
über den es zur Werkstatt ging, halb offen stand. War einer darinnen? Knöres wusste doch ganz genau, dass nie ein Mensch in
der Werkstatt arbeitete. Der Schreinermeister hatte schon vor einem Jahr sein
Geschäft in eine bessere Gegend verlegt, und hier verwahrte er eigentlich
nur noch ein paar Stapel Bretter unter einem niedrigen Schuppen. In der
Werkstatt aber regierten die Ratten.
Sollte er den Polizisten darauf
aufmerksam machen? Aber sie waren schon vorbei... Noch einmal schaute Knöres um... Ja, was war das? Sein Herz tat einen
gewaltigen Sprung, und dann war es, als stünd ’
es auf einmal stille... Ganz genau hatte er es gesehen: aus dem Tor der
Schreinerei war eine Gestalt geschlüpft – er hätte darauf
schwören können! Aber schon war der Schatten im Düster, nach dem
Rhein zu, verschwunden.
„Das Rote U!“
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