Das Runenschwert (Die Saga von den drei Königreichen) (German Edition)
Mal Kallin
3. Die Muster der Mauern
„ eht Herrin, wir haben ihn gleich.“ Rotbäckig und aufgeregt folgte Cathyll dem Fingerzeig ihres Thards. Zwischen den dichten Bäumen hindurch sah sie in einer Bodenvertiefung den Fuchs stehen, der ihr direkt in die Augen zu sehen schien. Weiter hinten hörte sie das Jagdhorn von Rabec, ihrem Raethgir und zu ihrer Rechten, ebenfalls ein Stück entfernt hörte sie die restlichen Schergen mit Töpfen klappern. „Er ist eingekreist, Herrin.“ Bran reichte ihr den gewundenen Ebenholzbogen, Wahrzeichen des Hauses Marc. Sie nahm den Bogen und legte an, als ihr jugendlicher Jagdeifer plötzlich und nur für einen kurzen Moment von etwas unterbrochen wurde, das sie später als Einsicht bezeichnen würde, das sich momentan aber am ehesten mit dem Wort „Gefühl“ beschreiben ließ. Aus einem ihr unbekannten Grunde überfiel sie die Ahnung, dass dieser Moment von einer noch verborgenen Bedeutsamkeit war, dass ihr die ausdruckslosen Augen des Fuchses etwas mitteilen wollten, dass dieser Moment wie in Marmor gehauen eine Bedeutung erhalten sollte, von der sie noch nicht wusste welche. Sie war erst 15 und verband bisher mit dem Wort Bedeutung nur die Verpflichtungen, welche sie als Königstochter des Fürstentums Marc auferlegt bekam. Dies war anders – es hatte mit Freiheit zu tun und doch war es gänzlich unfrei, denn zusammen mit der ihr unbekannten Bedeutsamkeit beschlich sie eine Ahnung der Vorbestimmung all ihres Tuns.
Als sie den Bogen spannte und die Sehne losließ, der Fuchs nach einem kurzen Aufspringen tot zu Boden fiel, war der Moment ve rgangen.
„Das war ein meisterha fter Schuss, Herrin.“, lobte Bran sie standesgemäß, als sie zu Pferde auf dem Weg zur Burg waren. Sie lächelte, nicht wegen der Unbeholfenheit, mit der Bran, ihr Thard, ihre unziemliche Freundschaft vor den anderen und in erster Linie vor Rabec zu verbergen suchte, sondern, weil dieses Lob sie trotzdem wärmte, im Gegensatz zu all den anderen Freundlichkeiten, die tagtäglich über sie ausgegossen wurden, von denen sie aber mittlerweile die echten von den aufgesetzten zu unterscheiden gelernt hatte. Sie wusste dennoch, dass die meisten Menschen, mit denen sie täglichen Kontakt übte, ihr wohlgesonnen waren, und dass die höflichen Umgangsformen, denen sie täglich ausgesetzt waren, nur dazu dienten sie für spätere Aufgaben zu trainieren und sie vor der Leere des Verlusts ihrer Eltern bewahren sollte. Rabec hatte ihr immer wieder einzuprägen versucht, dass weitere persönliche Beziehungen ihr nur weitere Schmerzen bereiten würden und sie letztendlich enttäuschen würde – dafür war sie ihm, trotz seiner kühlen Distanz, dankbar.
Als am Ende des Waldes die Burgzinnen von Mal Kallin erkennbar wurden, beschlich Cathyll eine immer wiederkehrende Ahnung von Freude und Trauer zugleich. Obwohl ihre Eltern nun bereits vier Jahre tot waren, und sie diese ob der Sitten bei Hofe niemals als enge Vertraute gesehen hatte, verband sie die Erinnerung an beide mit einem tief empfundenen Verlust, so als ob sie nun und für immer inkomplett in der Welt wandeln müsse. Als sie Ma’an, ihre Kammerzofe sah, die ihr von den Ställen aus zuwinkte, verschwand diese seltsame Empfindung jedoch wieder und wich der Vorfreude auf die Geborgenheit, die ihr die Mauern von Mal Kallin boten, obwohl sie ihren wahren Wert noch nicht erkannte.
Cathyll liebte es, sich in den Geheimgängen der Burg zu verstecken und neue Winkel der Burg zu entdecken. Mal Kallin war ein uraltes Bauwerk, noch erbaut, bevor die ersten Ankil den Boden Ankilans betreten hatten. Die linienartigen Muster in den Ornamenten des Gemäuers deuteten auf die wahren Erbauer der Burg: die Ca’el, ihr Lehrer Fathlaed nannte sie das Volk der Ertragenden. Aus einem ihr unbekannten Grund fühlte sich Cathyll diesen Ertragenden hingez ogen, obwohl ihre beiden Eltern nachweislich einer Linie aus fürstlichem Geschlecht von Ankil entstammten. Aber die gewundenen Linien und Verzierungen klangen in ihr etwas an, ein unausdrückbares Verständnis und eine Verbundenheit. So war sie auch als einzige auf eines der vielen Geheimnisse der Burg gekommen.
Es fing damit an, dass Cathyll sorgsam einer Verzierungslinie, die in einem Flur anfing, mit dem Finger gefolgt war und diese abrupt geendet hatte, nur um in kurzer Unterbrechung weiterzugehen. Cathyll irritierte diese Unterbrechung, denn sie entsprach überhaupt nicht ihrem Gefühl der Logik der Ca’el-Muster. Erst
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