Die geheimnisvolle Limousine
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Ostaptschuk konnte ganz deutlich das Lenk-
rad aus cremefarbenem Galalith und eben-
solche Kügelchen an den Hebelenden er-
kennen, aber keinen Menschen. Es war ein
wolkenloser Sommermittag. Grelles Sonnen-
licht überflutete die Windschutzscheibe und
den leeren Vordersitz der Limousine, die an dem fassungs-
losen Milizmann1 vorbeifuhr und, ehe dieser wieder zu
sich kam, schon auf der Chaussee davonrollte.
Es verging jedoch nur eine halbe Minute, bis Ostaptschuk
den nächsten Posten angerufen, eine genaue Beschreibung
der Limousine durchgegeben und kategorisch gefordert
hatte, den Wagen anzuhalten.
Das war leichter gesagt als getan!
Seregin, der Verkehrspolizist an der nächsten Kreuzung,
hob gebieterisch seinen Arm vor der grünen Limousine.
Im selben Augenblick aber wurde er sich bewußt, daß er
ohne jede Überlegung handelte:
Wenn der Wagen, falls man Ostap-
tschuk glauben konnte, wirklich
ohne Chauffeur fuhr, war es gerade-
zu lächerlich, ihn durch eine Hand-
bewegung zum Halten bringen zu
wollen.
Wie überrascht war Seregin daher,
als die grüne Limousine tatsächlich
stoppte. Seine Unsicher-
heit schwand sofort. An-
scheinend ist Ostaptschuk
die Hitze zu* Kopf gestie-
gen, dachte er, oder ein
1 Polizist
Liliputaner sitzt am
Steuer. Seregin ging ^
dem Auto entgegen, -
doch er hatte kaum den
Arm sinken lassen, als
die Limousine wieder
anfuhr. Der Fahrer
wollte anscheinend den
zu erwartenden Un-
annehmlichkeiten aus-
weichen. Empört stellte
sich der Milizmann dem
Verkehrssünder in den Weg, aber die grüne Limousine
machte keinerlei Anstalten mehr, stehenzubleiben. Der
glänzende Kühler mit den gelblichen Glasscheiben der
Scheinwerfer zielte direkt auf Seregin, kam näher und
näher. Wer würde nachgeben? Aber der Fahrer, dessen
Existenz Ostaptsdiuk verneint hatte, hielt diese harte
Nervenprobe nicht durch: Zwei Schritte vor dem Miliz-
mann bog der Wagen ab.
Seregin bückte sich und schaute durch die Wagenfenster.
Auf dem Vordersitz lag ein Paar Chauffeurhandschuhe,
das war alles. Später behauptete Seregin, daß er mit
eigenen Augen gesehen habe, wie sich das Gaspedal von
selbst senkte und die leere Limousine sofort schneller
gefahren sei. Konnte sich denn ein Mensch unsichtbar
machen?
In phantastischen Erzählungen und Filmen mochte dies
schon vorkommen, aber in Wirklichkeit...
Der Milizmann nahm die Mütze ab und wischte sich mit
dem Taschentuch über die Stirn. Versunken schaute er
dem immer kleiner werdenden Auto nach.
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Da flatterte ein Sperlingsschwarm auf und erinnerte Sere-
gin wieder an die alltäglichen, wirklich existierenden
Dinge. Seine Verblüffung legte sich, und entschlossen
schritt er zum nahen Telefonhäuschen. Erstens mußte die
Nummer des Autos festgestellt werden, zweitens galt es,
gemeinsam eine Methode zu finden, den Wagen aufzu-
halten. Aus diesem Grunde rief Seregin gleich mehrere
Posten an und verständigte sie vom Auftauchen dieses
geheimnisvollen Autos.
Der grünen Limousine gelang es noch, einige weitere
Straßenkreuzungen zu passieren, bevor man einen Plan
zum Anhalten ausgearbeitet hatte. Dieser war ganz ein-
fach. Man wußte bereits, daß die Limousine auf freien
Strecken eine hohe Geschwindigkeit entwickelte, diese
aber langsam verminderte, sobald sie sich einer Straßen-
kreuzung näherte oder ein anderes Auto einholte. Sie
stoppte ordnungsgemäß vor der Verkehrsampel, wenn
das Signal auf Rot stand, und wartete geduldig auf grü-
nes Licht. Kam vor ihr ein Auto zum Stehen, so hielt sie
ebenfalls an. Eine ganz besondere Hochachtung aber
schien dem unsichtbaren Fahrer die erhobene, weiß-
behandschuhte Rechte des Verkehrspolizisten einzuflößen;
und auf diesem Umstand wurde der Plan aufgebaut. Zur
Ausführung brauchte man nur zwei Leute. Der eine mußte
den Wagen mit der erhobenen Hand zum Halten bringen,
der andere hingehen, den unsichtbaren Chauffeur heraus-
holen und, wenn möglich, zugleich auch den unsichtbaren
Fahrgast, auf den eine Aktenmappe und ein grauer Filz-
hut auf dem Hintersitz schließen ließen.
Natürlich hätte man auch versuchen können, die geheim-
nisvolle Limousine mit einem anderen Auto zu über-
holen und ihr den Weg abzuschneiden, Aber nicht immer
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blieb sie vor einem Hindernis stehen. Wenn sie abbiegen
konnte, ohne gegen die Verkehrsvorschriften zu ver-
stoßen, fuhr sie um das Hindernis herum und setzte ihren
Weg ohne Aufenthalt fort.
Das
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