Das Salz der Erde: Historischer Roman (German Edition)
Trage aus Weidenzweigen; Jacques und Renier legten den Verletzten darauf und trugen ihn weg. Pierre war bei Bewusstsein, doch Michel sah den fiebrigen Glanz in seinen Augen. Er brauchte dringend Hilfe.
Nachdem Eloise gegangen war, zerstreuten sich die Dörfler allmählich, verschwanden in ihren Hütten oder setzten bedrückt ihre Arbeit fort. Michels Vater redete noch eine Weile mit seinem Freund Julien, ehe er mit grimmiger Miene zur Hütte schritt.
Michel und Jean verstopften hastig die Luftlöcher und taten so, als hätten sie nichts gesehen und gehört.
»Macht endlich den Schweinekoben sauber«, befahl ihr Vater, als er hereinkam.
Das war das Letzte, was er an diesem Morgen zu ihnen sagte. Er verlor kein Wort über Pierres Bestrafung und saß bis mittags mürrisch und brütend am Herdfeuer.
Seit Michels Mutter gestorben war, verfiel sein Vater, eigentlich ein fröhlicher und offener Mann, oft in stundenlanges Grübeln, und Michel hatte sich inzwischen daran gewöhnt. Doch so düster wie heute war seine Stimmung schon lange nicht mehr gewesen, und Michel wagte nicht, ihn anzusprechen, obwohl er gerne gefragt hätte, ob Pierre wieder gesund werden würde.
Nach dem Mittagsmahl, das sie schweigend einnahmen, verließ sein Vater die Hütte und kam eine halbe Stunde später mit Julien zurück.
»Geht nach draußen spielen«, forderte er Michel und Jean auf. »Julien und ich haben etwas zu bereden. Nehmt Vivienne mit.«
Michel bemerkte, dass der Schmied einen Lederbeutel über der Schulter trug, in dem ein länglicher Gegenstand steckte. Während die beiden Männer nach hinten gingen, verließen Jean, Vivienne und er die Hütte und begannen lustlos, einen Schneemann zu bauen. Julien blieb jedoch nicht lange. Kurz darauf öffnete er die Tür und scheuchte das Schwein ins Freie.
»Wieso nimmt Julien unser Schwein mit?«, fragte Michel seinen Vater, als der Schmied das Tier zu seinem Haus trieb.
»Ich habe es ihm verkauft.«
»Warum?«
»Wir brauchen es nicht mehr«, antwortete sein Vater.
Verwirrt blickte Michel dem Schmied nach. Sie hatten das Schwein seit dem Frühjahr gemästet und wollten es nächste Woche schlachten, damit sie Fleisch für den restlichen Winter hatten – und nun gab sein Vater es einfach weg?
Der breitschultrige Mann ging neben Michel in die Hocke. »Hör zu«, sagte er. »Ich möchte, dass ihr heute früh schlafen geht. Bevor es dunkel wird, liegt ihr im Bett, verstanden?«
Michel nickte. Das Verhalten seines Vaters erschien ihm immer merkwürdiger.
Im Verlauf des Nachmittags leerte sich der Dorfplatz. Die meisten Bewohner Fleurys waren Bauern wie Michels Vater, für die es während der Wintermonate außerhalb der eigenen vier Wände nicht viel zu tun gab, weshalb sie sich früh in ihre Hütten zurückzogen, um bis zum Einbruch der Dunkelheit zu nähen, Schafswolle auszubürsten oder Werkzeug zu reparieren. Lediglich die Kinder blieben draußen. Dank Jean, der eine Schneeballschlacht anzettelte, vergaß Michel bald die Sache mit dem Schwein und sogar den schrecklichen Vorfall vom Vormittag und tollte zwei Stunden lang mit den anderen im Schnee herum. Sogar Vivienne hatte Spaß an dem wilden Gefecht. Ungeschickt tapste sie zwischen den Älteren herum und kicherte vergnügt, wenn einer von einem Schneeball getroffen wurde. Allerdings verging ihr das Lachen, als Robert sie versehentlich anrempelte und sie mit dem Gesicht voran in den Schnee fiel. Diesmal ließ Michel sie brüllen, bis sie heiser war.
Als es zu dämmern begann, rief ihr Vater nach ihnen. Wortkarg forderte er sie auf, am Feuer Platz zu nehmen. Nachdem sie etwas Gerstengrütze gegessen und einen Becher warme Ziegenmilch getrunken hatten, bestand er darauf, dass sie ihre Gebete sprachen, sich auszogen und schlafen legten. Jean murrte, denn er hasste es, früh ins Bett gehen zu müssen. Ihr Vater duldete jedoch keine Widerrede, und eingeschüchtert von seinem ungewohnt scharfen Ton kroch Jean unter die Decken.
Michel konnte nicht sofort einschlafen. Im Licht des ersterbenden Herdfeuers beobachtete er seinen Vater, der in Gedanken versunken am Tisch saß und seinen Bierkrug leerte. Irgendwann griff er in sein Wams, holte einen Beutel hervor und öffnete ihn. Michel war nicht wenig überrascht, als er sah, dass er Silbermünzen enthielt, schimmernde Deniers. Geld war recht selten in Fleury. Die Dorfbewohner hatten kaum Verwendung dafür und benutzten es eigentlich nur, wenn sie mit auswärtigen Händlern Geschäfte
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