Das Schiff der Hoffnung
von Venedig liefen zwei glückliche Menschen um die Wette, balgten sich wie übermütige Kinder, jagten sich gegenseitig in das aufspritzende Meer, warfen sich einen großen Luftball zu und spielten Federball.
Die Sonne und das Wasser bräunten ihre Haut. Und manchmal setzte sich der Mann in den Sand, hob die Arme hoch empor und rief: »Ich kapituliere! Ich ergebe mich! Rika, hab Mitleid; ich bin ein alter Mann!«
Dann lachte sie, bewarf ihn mit Sand, kugelte ihn zum Ufer und stieß ihn ins Wasser, und dann prustete er wie ein Seehund und lachte und hätte schreien können vor Glück.
Alle, die zuschauten, freuten sich mit ihnen. Sie ahnten nicht, was sechs Wochen vor diesen übermütigen Tagen noch geschehen war, und sie sahen auch nicht die hellrote Narbe auf dem Leib der jungen, schönen Frau; der Badeanzug verbarg sie allen Blicken. Sie beneideten nur den Mann um diese temperamentvolle, schlanke Frau mit den kastanienfarbenen Haaren, die in der Sonne leuchten konnten wie rotglühendes Gold.
Wenn Karl Haußmann fortging, Eis holen oder eine Limonade, umlagerten Papagalli den Liegestuhl Rikas und riefen Komplimente. Betraten sie den Saal des Hotels zum Abendessen, bekam Haußmann ein steifes Kreuz vor Stolz, denn er sah die Blicke der anderen Männer, die seiner Frau folgten. Wie ein Pfau ging er neben ihr, und um zu zeigen, wie sinnlos alle anderen Männergedanken waren, legte er beim Gehen seinen Arm um ihre Hüften und sie spielte mit, bog sich zurück und lachte schallend.
In der Nacht lagen sie jetzt wach und sahen in den mondhellen Himmel.
Vor dem Fenster plätscherte das Meer. Aus der Bar klang leise Tanzmusik zu ihnen herauf. Irgendwo, vielleicht in dem Café auf der Piazza St. Giulio, sang eine helle Männerstimme von Amore. Es war heiß im Zimmer, und sie lagen auf den Bettdecken, bekleidet mit dem Mondschein.
»Du …«, sagte Erika leise und legte ihre Hand auf Haußmanns Brust.
»Ja, Rikchen?«
»Wann ist das Paradies zu Ende?«
»Nie!«
»Wie lange bleiben wir noch in Venedig?«
»Noch eine Woche.« Haußmann drehte sich auf die Seite. Der nackte, braune Körper seine Frau glänzte im Mondlicht. Unterhalb des Nabels war die lange, rote Narbe … eine Straße, die aus der Todesangst herausgeführt hatte.
Karl Haußmann beugte sich vor, legte seinen Kopf auf Erikas Leib und küßte die Narbe. Mit beiden Händen umgriff sie seinen Kopf und drückte ihn an sich.
»Wenn du willst … ich bleibe so lange hier, bis du sagst: Nun laß uns fahren«, sagte Haußmann.
»Wir haben noch zwei Kinder, Karl.«
»Die sind erwachsen! Wir sollten endlich unser eigenes, unser ganz alleiniges Leben genießen.«
»Deine Fabrik …«
»Ich habe einen guten Prokuristen!« Haußmann umarmte den Leib Erikas. »Überhaupt das Geldverdienen … der Satan ist da drin. Was hat die Jagd nach dem Geld aus uns gemacht, Rika!«
»Zwei moderne Menschen, Karl.«
»Ich möchte lieber unmodern sein, aber glücklich mit dir!«
»Dann laß uns fahren, Karl.«
»Fahren?« Haußmann richtete sich auf und legte seine Hände auf ihre Brüste. Er spürte, wie sie zitterten. »Wann?«
»Morgen schon …«
»Wohin denn, Rika?«
»Zurück nach Gelsenkirchen. In unser Haus … in meine Heimat … zu uns … Karl …«
»Weg von Venedig, Rika?«
Sie nickte und lächelte. Und plötzlich sah er, wie sie weinte, wie lautlos die Tränen aus ihren großen, schönen Augen rollten.
»Wir haben ein so schönes Haus, Karl.«
»Aber die Gegend ist staubig, rußig, es regnet immer, und die Sonne schwimmt hinter den Rauchwolken der Fabriken.«
»Trotzdem.« Sie ergriff seine Hände und zog sie an ihre Lippen. »Laß uns morgen schon fahren, Karl. Ich … ich habe Sehnsucht nach den Kindern … nach unserer Terrasse, nach dem Wohnzimmer mit dem indischen Teppich – weißt du noch, zum 40. Geburtstag hast du ihn mir gekauft –, nach dem Blick aus meinem Schlafzimmer, der auf die Blutbuche im Garten fällt … ich habe Sehnsucht nach unserer kleinen, eigenen Welt, die wir beide uns gemeinsam geschaffen haben.«
Karl Haußmann nickte und zog sie an sich.
Er war so glücklich, daß er tief atmen mußte, denn großes Glück macht das Herz schwer, wie mit Blei gefüllt.
Am nächsten Morgen fuhren sie ab. Zurück nach Deutschland.
Das ›Schiff der Hoffnung‹ fuhr auch weiterhin.
Von Bari nach Dubrovnik.
Von Dubrovnik nach Bari.
Täglich hin und her, mit einem Leib voller Autos, mit fröhlichen, urlaubsübermütigen Menschen auf
Weitere Kostenlose Bücher