Das Schiff der Hoffnung
wirklich in diesen Tagen: Lord Rockpourth stand aus dem Bett auf und bewegte sich auf seinen eigenen Beinen. Er ging.
Zwar noch am Arm von zwei Pflegern, aber er bewegte die Beine, trat auf und stieß bei jedem Schritt, den er tat und bei dem er die Dielen unter seinen Fußsohlen spürte, einen schnaufenden Laut aus.
»Sehen Sie sich das an, Sir!« sagte er, als Haußmann ihm auf dem Flur begegnete. »Die Mohammedaner kriegen hin, was Christen und Mongolen nicht fertigbrachten: Ich gehe wieder! Ihre ehrliche Meinung, Sir: Was halten Sie davon, wenn ich zum islamischen Glauben übertrete und mich Ali Achmed Ben Jussuf nenne?«
Haußmann lachte schallend. Lord Rockpourth verzog das Gesicht und humpelte am Arm seiner Pfleger weiter.
Er war ein Paradepatient geworden. Jeder Kommission, die aus Belgrad, Sarajewo oder Zagreb kam, und sie kamen laufend, um die HTS-Erkenntnisse auszutauschen, zeigte Professor Kraicic den ›unheilbar Krebskranken‹ Lord Rockpourth.
»Ich komme mir vor wie ein Pavian, der statt eines roten Hinterns einen blauen hat!« sagte Rockpourth einmal zu Haußmann. Es war am vierzehnten Tag. Sie saßen auf einer schattigen Bank im Garten und fütterten große, unbekannte, rotschillernde Vögel mit Brotkrumen. Erika ging langsam mit einer Schwester im Rosengarten spazieren. Sie war noch schwach, aber ihr Gesicht hatte alles Leid verloren, selbst die Fältchen an den Augen und im Mundwinkel waren wie weggestrichen. Wie jung sie wieder aussieht, dachte Haußmann, als er zu ihr hinüberblickte. Wer traut ihr zwei erwachsene Kinder zu? Verdammt, gegen sie bin ich ja ein alter Mann.
»Ich lade Sie ein nach Old England«, sagte Rockpourth. »Mein Schloß ist Ihr Schloß, Sir. Ohne Sie wäre ich noch immer eine Mumie oder vielleicht schon vertrocknet! Daß wir uns auf dem ›Schiff der Hoffnung‹ kennenlernten, war wirklich eine Schicksalsfügung! Wo ist eigentlich Marion?«
»Fort«, sagte Haußmann kurz.
»Oha! Krach?«
»Es gehörte zur Therapie«, sagte Haußmann dunkel.
»Verstehe.« Lord Rockpourth zupfte Haußmann am Hemd. »War ein herrliches Körperchen, mein Lieber. Aber im Hirn war Ebbe. Alles hatte sich eine Etage tiefer etabliert! Wir sind für solche architektonischen Extravaganzen zu alt, Sir. Ich bewundere Sie ehrlich, daß Ihre Frau mit Ihnen noch zufrieden sein kann. Ihre Frau ist wie eine voll erblühte Rose. Sie sollten Angst haben, daß nicht auch andere an dem Duft schnuppern!«
»Bei Erika …« Haußmann lächelte und sah hinüber zu seiner Frau. Sie stand in der Sonne, und ihr Haar funkelte kupfern. »Sie ist die treueste Frau, die es gibt.«
»Man soll nie so sicher sein! Man sollte sich immer bemühen, nie als überflüssig zu gelten.«
Haußmann verstand und erhob sich von der Bank. »Wie lange bleiben Sie noch in Mostar, Mylord?«
»Der Professor sagte was von einem halben Jahr. Und dann gehe ich an die Küste. Wenn ich an das winterliche, nebelige London denke … nicht auszumalen! Aber Sie besuchen mich im nächsten Jahr?«
»Ganz sicher, Mylord.«
»Schön! Und nun kümmern Sie sich um Ihre Frau.« Lord Rockpourth hielt Haußmann wieder am Hemd fest und zog ihn zu sich herab, als könne jemand anderes seine Worte hören. »Übrigens – Ihre Frau ist viel hübscher als diese Marion!«
»Das weiß ich, Mylord.«
»Dann waren Sie bisher ein Rindvieh. Gehen Sie, ich habe kein Mitleid mit Ihnen!«
Beschwingt ging Haußmann in den Rosengarten und faßte seine Frau unter.
»Der Professor meint, in vier Tagen könnten wir fahren«, sagte er und führte sie den geharkten Weg entlang. »Das Hotelzimmer in Venedig ist schon bestellt.«
»Ist das nicht alles wie ein Wunder, Karl? Ich fühle mich wie ein ganz anderer Mensch. Ich fühle mich so jung.«
Sie umarmte Karl und gab ihm einen Kuß. Wie ein junges Mädchen benahm sie sich. Haußmann atmete tief auf.
»Wenn das so weitergeht, bekomme ich Komplexe«, sagte er. »Was muß ich tun, um mit deiner neuen Jugend mitzuhalten?«
»Ganz lieb zu mir sein!«
Es wurde ein besonderer Tag.
Professor Kraicic hatte angeordnet, daß nach dem Abendessen niemand mehr das Zimmer Erika Haußmanns betreten dürfe. Die Stationsschwester beherzigte diesen Befehl, aber gegen 22 Uhr rief sie doch sorgenvoll den Klinikchef an.
»Herr Professor«, sagte sie, »Herr Haußmann überzieht die Besuchszeit sehr. Er ist noch immer im Zimmer. Wenn ich ihm aber Bescheid sage, muß ich es betreten …«
»Sagen Sie ihm keinen Bescheid«,
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