Das Schiff der Hoffnung
bleiben?«
»Nein, ein paar Wochen. Dr. Zeijnilagic braucht für die Behandlung vielleicht zwanzig Kapseln.«
Professor Seidler drehte sich um. Sein Blick war nachdenklich, fragend und doch voller Abwehr.
»Wenn so etwas möglich wäre …« Dann schwieg er und schüttelte den Kopf. »Ich wünsche Ihnen und Ihrer Braut viel Glück«, sagte er.
»Ich sehe es Ihnen an: Sie denken, das HTS sei ein Betrug.«
»Wenn man mit zwanzig Kapseln einen Krebs heilen oder Rezidive verhindern kann, wäre das eine völlige Revolution der Medizin!«
»Und wenn es das ist?« rief Hellberg.
»Dann wüßte man mehr davon, mein Bester.«
»Wie kann man etwas wissen, wenn sich die Schulmediziner vor diesen Forschungen verschließen? Wenn sie sich zumauern? Wenn sie mit einer Handbewegung, mit einem milden Lächeln, mit Spott oder sogar Verachtung diese kühnen Experimente auf ein totes Gleis schieben?«
»Das verstehen Sie nicht, Herr Hellberg.« Professor Seidler hob lauschend den Kopf. Aus dem OP II wurde das fahrbare Bett mit der Operierten gerollt. Die Tür des breiten Aufzuges klappte zu. Claudia war auf dem Weg in die Intensivstation, den gläsernen Krankenzimmern der Frischoperierten, die von einem Schwesternzimmer aus mit einem Blick übersehen werden konnten. »Es geht hier nicht um ein Mittel wie das HTS. Es geht um eine gesamte Wissenschaft. Denken Sie an Galilei: Daß sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt, war so ungeheuerlich, daß man ihn als Ketzer verbrennen wollte. Auch, wenn er recht hatte, was wir heute wissen, war es damals eine Zerstörung eines jahrhundertealten Weltbildes. Nicht anders ist es bei der Medizin. Ein Außenseiter ist immer ein Ketzer! Auch Ihr Dr. Zeijnilagic! In spätestens einem halben Jahr wird es still um ihn, um seine Forschungen sein, weil niemand sie zur Kenntnis nehmen wird.«
»Und wenn ich Ihnen in ein oder zwei Jahren Claudia wieder vorführe und Ihnen beweise, daß sie gesund ist?«
»Dann wird es ein Triumph der modernen Chirurgie sein«, sagte Professor Seidler hart. »Denn ich habe sie operiert …«
Bedrückt blieb Hellberg zurück, nachdem Seidler gegangen war. Erst, als Dozent Dr. Battenberg in den Raum kam, erwachte er wie aus einer Erstarrung. Battenberg hatte ein offenes, ja fast fröhliches Gesicht.
»Ihre Braut ist jetzt auf Station W 1/5. Sie können sie vom Schwesternstand aus sehen.«
»Danke, danke.« Hellberg wischte sich mit den beiden Händen über das zuckende Gesicht. »Haben Sie Hoffnungen, Doktor?«
»Aber ja! Auch mit einem Lungenflügel kann ein Mensch glücklich sein. Und die Narbe auf dem Rücken … na ja, nur Sie sehen sie ja.«
»Sie ist also gerettet?«
»Nach menschlichem Ermessen, ja! Eine gute, glatte Operation. Ich würde an Ihrer Stelle keinerlei Sorgen mehr haben.«
Hellberg nickte und reichte Dr. Battenberg die Hand. »Ich danke Ihnen«, sagte er heiser. »Ich danke Ihnen herzlich. Ich wünschte, ich könnte so optimistisch sein wie Sie.«
Später saß er neben der Wachschwester in dem gläsernen, runden Zimmer, von dem aus man die Frischoperierten übersehen konnte.
Claudia lag in Zimmer 5, ein schmaler, bleicher Kopf mit schwarzen, nun kurzgeschnittenen Haaren, der fast in dem Kissen verschwand. Sie lag noch in der Narkose, und eine OP-Schwester saß neben dem Bett und wartete auf ihr Erwachen.
»Sie ist gleich da«, sagte die junge Schwester neben Hellberg. Sie wunderte sich im stillen, wieso der sonst so strenge Chef es erlaubt hatte, daß ein Angehöriger in der Intensivstation sitzen durfte. »Sie bewegt schon die Hände.«
Hellberg nickte stumm. Er starrte auf Claudia. Ihre Finger tasteten über das Bett-Tuch, ihre Beine zuckten, der Kopf drehte sich langsam.
Sie kam ins Leben zurück.
Und Frank Hellberg schwor sich in diesem Augenblick, alles vorzubereiten: Wenn Claudia aus der Klinik entlassen wurde, würden sie nicht wegfahren aus Heidelberg, sondern von der Tür der Klinik aus würde ein Wagen sie zum Standesamt fahren, und er würde sein Leben für immer mit dem Claudias verbinden.
Ich liebe dich, dachte Hellberg stumm und faltete die Hände, als Claudia die Augen aufschlug und die OP-Schwester – das sah er, aber hörte er nicht – mit ihr sprach. O Gott, ich liebe dich …
Und ich weiß, daß du gesund bist, daß wir den Tod in dir besiegt haben.
Ob es Professor Seidler war oder Dr. Zeijnilagic – das ist im Augenblick nicht wichtig.
Du lebst.
Und ich danke Gott dafür.
Durch den Sand des Lido
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