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Das Schlangenschwert

Das Schlangenschwert

Titel: Das Schlangenschwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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tat, und nahm schleunigst seine Hand vom Mund.
    »Ein dummer Traum«, meinte ich.
    »Sicher. Ich erinnere mich an mein Haus, Tikkirej. Es stand im Garten, ein Weg aus rotem Ziegelstaub führte zu ihm hin. Sogar das Auto mussten wir vor dem Tor abstellen. Das Haus hatte drei Etagen, ein hohes Fundament, Wände aus alten Steinen, Holzfensterrahmen und -türen. Es hatte breite Stufen, die zur Veranda führten, und abends tranken wir dort Tee und manchmal Bier oder Wein. Die Wände waren mit Wein bewachsen. Er war nicht kultiviert, fast wild, aber man konnte die Trauben trotzdem pflücken und essen. Und die Fußböden waren aus Holz, alt, aber ohne zu knarren. Am Giebel hing eine schmiedeeiserne Laterne. Abends habe ich immer die Lampe angemacht, und die Stechfliegen und Nachtfalter schwärmten im Lichtkegel...«
    »Was ist ein Giebel?«, wollte ich wissen.
    Lion zog die Stirn in Falten. Unsicher wedelte er mit den Händen, als ob er mit ihnen Dreiecke baute.
    »Das ist... na, unter dem Dach, zwischen Dachschrägen und Dachboden, wenn du die Fassade betrachtest. Wieso?«
    »Ich kannte dieses Wort nicht«, erklärte ich.
    »Ich auch nicht«, gab Lion zu, »ich habe ja gesagt, dass ich viel gelernt habe. Ich habe bei Geburten geholfen, ein kosmisches Raumschiff geflogen, gekämpft...«
    Er verstummte erneut.
    »Lion, niemand hindert dich doch daran, groß zu werden, so ein Haus zu bauen und darin zu wohnen«, sagte ich.
    »Ich habe ja dort nicht allein gelebt.«
    »Ja, dann wirst du eben nicht allein sein...«
    Lion nickte. Dann ergänzte er zurückhaltend: »Katharina hat beim medizinischen Dienst gearbeitet. Sie hat mich aufgepäppelt, als alle schon davon ausgingen, dass ich sterben würde. Das war nach dem Hinterhalt, in dem du getötet wurdest...« Er unterbrach sich.
    »Mich?«, fragte ich nach. »Du hast also mich gemeint, als im Hinterhalt... und dann hast du alle...?«
    Lion stimmte zu. »Ja. Das warst du. Wir waren sicher schon um die zwanzig Jahre alt. Wir sind in Neu-Kuweit gemustert worden. Wir sollten in die Armee eintreten. Wir sind zu den Rangern gegangen.«
    Er begann wieder, an den Nägeln zu kauen, bemerkte es aber gar nicht.
    »Lion, das war ein – Traum«, meinte ich.
    »Aber vielleicht war überhaupt alles ein Traum?«, widersprach er. »Weißt du, wie ich meinen ersten Jungen genannt habe? Tikkirej!«
    Eine Minute verging, ohne dass ich wusste, was ich sagen sollte.
    Aber dann begann sich in meiner Brust ein kleines Lächeln breitzumachen. Ich unterdrückte es, so gut ich konnte. Ich habe mit allen Mitteln dagegen angekämpft, ehrlich!
    Aber es wurde immer stärker. Ich fing an zu husten, um es zu ersticken. Dann zu kichern.
    Dann wälzte ich mich einfach auf dem Boden herum und lachte aus voller Kehle.
    Lion sprang auf und sah mich zutiefst beleidigt an.
    »Da... da... danke!«, quetschte ich zwischen meinen Lachattacken heraus, »Lion, danke...«
    »Du Ignorant!«, schrie Lion. »Hast du eine Ahnung, was ich durchgemacht habe! Ich habe danach deine Leiche rausgeschleppt...«
    Aber ich konnte mich nicht beherrschen. Als Lion von Kriegen, seiner virtuellen Ehefrau und dem nicht existierenden Haus erzählte – das war schon schlimm. Als ob es wahr wäre.
    Als er aber sagte, dass ich getötet wurde, verflog die Beklemmung.
    Alles, was blieb, war ein dummer Traum.
    »Ich polier dir gleich die Fresse!« Lion warf sich auf mich. Ich schaffte es, mich auf dem Boden wegzurollen, und schrie: »Und danach wirst du die... Leiche wegschleppen?«
    Lion verfehlte mich und landete auf dem Boden. Er warf sich erneut auf mich. Nun aber nicht, um sich mit mir zu schlagen. Er umarmte mich, und das war komisch: Er führte sich auf wie ein Erwachsener, der ein Kind tröstet.
    Nach kurzer Zeit zog Lion sich zurück und fing ebenfalls an zu lachen.
    »Zum Teufel mit der Wahrheit!«, rief ich. »Das war ein Traum, ein Traum, ein Traum! Ein dämlicher, blöder Traum. Ich lebe, du lebst und mit Inej wird man ohne uns fertig werden. Und ein Haus wirst du dir schon noch bauen, mit welchem Giebel auch immer, sogar mit Springbrunnen!«
    Wir hielten uns an den Händen und lachten noch eine gute Weile, bis uns die Tränen aus den Augen strömten.
    Dann wischte sich Lion das Gesicht ab und meinte: »Okay, vertragen wir uns. Sonst fange ich wirklich noch an, mich mit dir zu schlagen, und ich bin ja dazu ausgebildet...«
    »Ich bin nicht dazu ausgebildet, aber ich kann es trotzdem«, drohte ich ihm. »Vertragen wir uns lieber. Und

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