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Das Schlitzohr

Das Schlitzohr

Titel: Das Schlitzohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Schöchle
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weiteren Mißhandlungen zu schützen. Mein Vater hatte
diese Reaktion schon erwartet, machte eine Viertelsdrehung, und schon sauste
das Meerrohr wieder auf den diesmal ungeschützten Podex. Inzwischen kurvte
meine Mutter um ihren Ehemann, um Schreckliches zu verhindern, während ich die
schmerzende Stelle wieder mit den Händen bedeckte. Mein Vater machte wieder
eine Viertelsdrehung, um mir den nächsten Hieb zu verpassen, ehe sich die
schützende Mutter ins Zeug legen konnte. So drehte sich das Ganze um meinen
Vater als Achse, während wir beide etwa wie Monde den Planeten umkreisten, bis
alle drei völlig außer Atem das grausame Spiel beendeten.
    Daß ich nicht gerne das Opfer dieser
Züchtigungen wurde, ist verständlich. Deshalb flüchtete ich einmal beim Anblick
des gezückten Meerrohrs auf den höchsten Kastanienbaum im Garten. Als ich auf
diesem Baum in halber Höhe saß, forderte mich mein Vater mit den Worten »komm
runter« zur Kapitulation auf, dabei wippte er unbewußt mit dem Meerrohr. Dieses
Wippen aber versetzte mir einen solchen Schrecken, daß ich immer höher
kletterte, bis ich ganz oben in der Spitze des Baumes war. Dort schwankte der
Ast so gefährlich, daß ich mich weder vor noch zurück traute und die
Aufforderung herunterzukommen, mit einem kläglichen »komm doch rauf« beantwortete.
Meinem Vater blieb nichts übrig, als den altbewährten »Vize« auf den Baum zu
schicken, der mich dann auch unbeschadet wieder auf die Erde brachte.
    Damit wären wir an einer Stätte
angelangt, die eine Quelle meiner größten Kindheitsfreuden war, nämlich unser
Garten. Er war mit etwa hundertjährigen Kastanien und Linden bepflanzt, die im
Laufe der Zeit zu einem so dichten Dach zusammengewachsen waren, daß kein
Sonnenstrahl die Erde erreichte. Jeder der in unserem Garten saß, begann
deshalb nach kurzer Zeit zu frieren, und ein längerer Aufenthalt war nur an
heißen Sommertagen oder an sonnigen Frühlingstagen vor dem Laubaustrieb ein
Genuß. Dadurch blieb dieser Garten praktisch ausschließlich mein Refugium. Hier
grub und pflanzte ich nach Herzenslust. Leider blieb der Erfolg aus, da bei
diesem intensiven Schatten noch nicht einmal Unkraut wuchs. Es lohnte sich auch
nicht, daß ich lange Wanderungen zu Standorten von Märzenbechern und
Schneeglöckchen unternahm, um sie auszugraben und in diesen Garten zu pflanzen.
Da erbarmte sich endlich meine Großmutter und ließ auf der Altane über der
Glasveranda Kisten mit Erde füllen, in denen ich meine gärtnerischen Ambitionen
befriedigen konnte. Bald blühten hier zahlreiche Sommerblumen, angefangen bei
der Kapuzinerkresse bis hin zu Reseda und Gretel im Busch.
    Aber nicht nur der Garten, auch die
freie Natur begeisterte mich derart, daß ich alles darüber vergaß. So war es
bei den sonntäglichen Spaziergängen, vor allem während des Ersten Weltkrieges,
üblich, ein Vesperpaket mitzunehmen, und ich hatte das zweifelhafte Vergnügen,
es zu tragen. Aber immer wieder wußte ich, an den Tümpelchen seitlich der
Rottach Groppen und Libellen zu fangen oder an der Iller den Schwänen
zuzuschauen. Falls in der Nähe des Weges ein Standort von Knabenkräutern oder
gar Frauenschuh oder auch Trollblumen und anderer seltener Pflanzen war, mußte
ich nach diesen sehen. So kam ich oft mit reichlicher Verspätung in dem
vereinbarten Landgasthof an, wo die hungernde Familie schon seit längerer Zeit,
manchmal seit Stunden, meiner beziehungsweise des Vesperpaketes harrte. Da kam
es dann schon vor, daß mir erst jetzt einfiel, daß das mir anvertraute Vesper
irgendwo liegengeblieben war. Aber selbst die begeisterten Schilderungen der in
diesen Tümpelchen lebenden Bergmolche konnten die um ihr Vesper betrogene
Gesellschaft nicht besänftigen.
     
     
     

Mit dem »Zebra« in
die neue Zeit
     
     
    Völlig ungeahnte Perspektiven
eröffneten sich für meine Familie und mein Elternhaus, als mein Vater das Auto
entdeckte. Er ersetzte 19x0 die zwei PS des Pferdeomnibus durch die 20 PS eines
siebensitzigen Autos, welches einen gewaltigen Kofferkasten hatte, der, wie die
Karosserie, hell- und dunkelbraun gestrichen war, was ihm den Namen »das Zebra«
einbrachte. In der Reihe der Hausmeister am Bahnhof Kempten stand nun ein Mann
mit einer Chauffeursuniform, auf dessen Mütze die Schrift »Hotel Post« prangte,
und ich glaube, das war eine gute Werbung für das Hotel meiner Eltern, denn
viele Reisende ließen sich den Genuß einer Autofahrt nicht entgehen, zumal der
Fahrpreis

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