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Das Schlitzohr

Das Schlitzohr

Titel: Das Schlitzohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Schöchle
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im Zimmerpreis eingeschlossen war. Da meist nicht alle Plätze des
Zebras von Hotelgästen besetzt waren, konnten auch andere Personen gegen Lösung
eines Fahrscheines mitfahren. Das war ein Geschäft, das alle Erwartungen
übertraf und das Auto finanzierte. Denn Autos waren damals noch eine große
Seltenheit, und von den 27 000 Einwohnern Kemptens waren bisher kaum 300 in
einem Auto gesessen. Deshalb warteten stets sechs bis zehn Personen im Vestibül
des Hotels, bis ein Platz in dieser Wunderkarosse frei war, um mit ihr zum
Bahnhof zu fahren und dann von dort um ein Erlebnis reicher nach Hause zu
gehen. Die besseren Fahrgäste lösten eine Rückfahrkarte und setzten sich in
unser Restaurant, bis sie abgerufen wurden. Nach der Rückfahrt schmeckte ihnen
ihr Früh-, Mittags- oder Abendschoppen noch einmal so gut, denn man machte ja
nicht jeden Tag einen so großen Schritt in die neue Zeit. Da an Sonntagen kaum
Reisende zu erwarten waren, fielen die Fahrten zum Bahnhof aus, dafür setzte
sich mein Vater selbst ans Steuer und machte mit seiner Familie oder Freunden
Ausflüge. Meine Mutter mußte neben ihm sitzen, um ihn auf Gefahren oder
entgegenkommende Fahrzeuge aufmerksam zu machen. Mein Vater sah nämlich sehr
schlecht. So entwickelte sich etwa folgendes Gespräch:
    Beifahrerin: »Da vorne kommt was.«
    Fahrer: »Kommt es entgegen?«
    Beifahrerin: »Ja.«
    Fahrer: »Ist es ein Fuhrwerk oder ein
Auto?«
    Beifahrerin: »Ein beladener Heuwagen.«
    Fahrer: »Kann ich vorbeikommen?«
    Beifahrerin: »Am besten du hältst an,
du kannst noch weiter nach rechts. Paß auf, ein Huhn!«
    Fahrer: »Wo?«
    Beifahrerin: »Du bist schon vorbei, es
ist gerade noch weggesprungen.«
    Ja, das waren noch gemütliche Zeiten,
als man mit so schlechten Augen Auto fahren konnte. Im großen und ganzen hatte
mein Vater wenig Pannen, obwohl damals noch zahlreiche Hufnägel auf der Straße
lagen. Eine Ausnahme machten die Fahrten nach Isny, in die Heimatstadt meiner
Mutter. Ausgerechnet hier hatte der Motor jedesmal irgendwelche Mucken, wo doch
meiner Mutter so viel daran lag, ihre einstigen Mitbürger zu beeindrucken. Sie
empfand es dann auch als eine persönliche Niederlage, wenn zwei Rösser vor den
Wagen gespannt werden mußten, um das Auto nach Kempten zu ziehen. Eines Tages
stellte sich die Ursache der vielen Motorpannen in Isny heraus. Ein ehemaliger
Kutscher meines Vaters, der in Isny beschäftigt war, wurde beobachtet, wie er
sich an meines Vaters Wagen zu schaffen machte. Er benutzte die Gelegenheit,
den Motor zu verstellen, um sich dann an der Verzweiflung seines ehemaligen
Brotgebers zu amüsieren.
    Die schönste Reise machten wir Kinder,
wenn uns unsere Großmutter im Zug nach Isny mitnahm. Zwar lebte unsere
Großmutter (mütterlicherseits) bei uns in Kempten, aber sie hatte ihre Wohnung
in Isny behalten, so daß wir hier ein wunderschönes Ferienquartier hatten. Es
gehörte zum Ritual, daß am Tag nach unserer Ankunft ein Schreiner kam, der aus
einigen Gestellen, Latten und Segeltuchplanen auf der Altane ein Gartenhäuschen
aufbaute. Eine Zinkbadewanne mit Wasser gefüllt, das sich in der Sonne herrlich
erwärmte und zum Baden einlud, machte den Kinderhimmel vollständig. In dem
luftigen Häuschen nahmen wir bei gutem Wetter sämtliche Mahlzeiten ein. Wir
machten viele Spaziergänge in die Umgebung und suchten dabei in den Wäldern und
Mooren rund um Isny Pilze und Beeren, die unseren Speisezettel bereicherten.
Wir bildeten mit unserer Großmutter eine richtige kleine Familie, und dies war
für uns ein merkwürdiges Gefühl nach dem doch reichlich unpersönlichen
Hotelbetrieb, wo sich niemand so richtig um uns kümmerte. Wenn ich morgens zum
Bäcker geschickt wurde, um einen Schildwecken zu holen, oder in der Molkerei
ein halbes Pfund Butter besorgen mußte, war das für mich ebenso neu wie die
Tatsache, daß das Frühstück nur für uns zubereitet wurde und wir es gemeinsam
verzehrten.
    Am besten gefiel es mir in Isny in der
Gärtnerei vom Onkel Götzger. Das war eine richtige schwäbische Verwandtschaft,
die ging um sechs Ecken herum, aber um so enger war die innere Verwandtschaft,
besonders was die Freude an der Natur betraf. Hier hatte ich vollkommene
Narrenfreiheit bei meinen sogenannten gärtnerischen Betätigungen, und der
Schaden, den ich anrichtete, überstieg den Nutzen um ein Mehrfaches. Als meine
Großmutter eines Morgens ins Krankenhaus gefahren werden mußte, ging ich in
meiner Not gleich zu Götzgers und wurde dort

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