Das Schloss am See: Mittsommerherzen (German Edition)
jetzt nach Hause, Aleks. Ich werde dir alles erklären, wenn du morgen kommst, um Charlotte zu füttern, aber jetzt …“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich möchte gern allein sein.“
Wie ein Schatten huschte Aleksandra aus der Küche.
Lisbet klopfte das Herz bis zum Hals. Wie hypnotisiert starrte sie auf die Dokumentenmappe, die vor ihr auf dem Tisch lag. Auch wenn sie es niemals zugegeben hätte: Sie fürchtete sich davor, sie aufzuschlagen. Was, wenn es wirklich stimmte? Wenn
er
der neue Besitzer von Beringholm Slott war?
Käre Gud! Gib, dass das nicht wahr ist!
Mit zitternden Fingern öffnete sie die Dokumentenmappe. Das Schriftstück, das sich darin befand, war überschrieben mit: Mein Testament. Und das, was danach kam, musste Lisbet dreimal lesen, um es wirklich glauben zu können.
… im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte vermache ich, Hilda Helström, Beringholm Slott meinem Großneffen Hannes Westenberg, auf dass er es in meinem Sinne weiterführen möge …
Lisbet hatte das Gefühl, völlig den Boden unter den Füßen zu verlieren.
O nein, Hilda! Warum? Warum nur?
Ihre mütterliche Freundin war vor etwas mehr als drei Wochen friedlich in ihrem Bett entschlafen. Da Hilda in Schweden keine Verwandten mehr besaß, hatte Lisbet sich um alles gekümmert. Die Vorbereitungen für die Beerdigung und die ganzen Formalitäten, die sie alle neben ihren übrigen Aufgaben erledigen musste, hatten sie so beschäftigt gehalten, dass sie gar nicht dazu gekommen war, sich Gedanken über Hildas Testament zu machen.
Überdies war sie ja fest davon ausgegangen, dass sie Beringholm Slott bekommen würde. Und das wäre nur recht und billig, nach allem, was sie in den vergangenen Jahren getan hatte.
Ein verhängnisvoller Fehler, wie sich nun herausstellte. Denn so traf sie die Neuigkeit, dass Hilda das Anwesen jemand anderem vermacht hatte, wie ein Schock. Irgendwie hatte sie die ganze Zeit geglaubt, dass alles so weitergehen würde wie bisher. Auf den Gedanken, Hildas Notar zu kontaktieren, war sie gar nicht gekommen. Sie hatte angenommen, dass er früher oder später auf sie zukommen würde, und nie daran gezweifelt, dass Hilda alles wie vereinbart geregelt hatte. Immerhin hatten ihr die Tiere und die Kinder doch so am Herzen gelegen!
Und nun das … Lisbet konnte es noch immer nicht fassen. Warum hatte Hilda das getan? Darauf würde sie so einfach keine Antwort finden. Und es brachte auch nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Die wichtigste Frage lautete jetzt: Wie sollte es weitergehen? Was sollte aus diesem Schloss werden? Aus all den Tieren … und den Kindern?
Lisbet wollte nicht weinen. Alles in ihr sträubte sich dagegen, doch wie so oft waren die Tränen stärker.
Aufschluchzend barg sie das Gesicht in den Händen. All ihre Hoffnungen und Träume waren von einer Sekunde auf die andere wie ein Kartenhaus in sich zusammengestürzt. Sie hasste es, dass sie bei jeder noch so kleinen Gelegenheit in Tränen ausbrach, doch heute hatte sie wenigstens allen Grund dazu.
Als sie hörte, wie jemand die Küche betrat, wischte sie sich hastig mit dem Handrücken über die Augen. „Aleks, bitte“, stieß sie heiser hervor. „Geh …“
Doch es war ganz eindeutig nicht die Hand des Mädchens, die sich von hinten auf ihre Schulter legte.
„Können wir
jetzt
vielleicht vernünftig miteinander sprechen?“
Der Klang seiner Stimme ließ Lisbet einen wohligen Schauer den Rücken hinunterrieseln. Sie war sich durchaus im Klaren darüber, wie unpassend diese Reaktion war, doch sie konnte nichts dagegen tun.
Ungefragt setzte Hannes sich auf den Stuhl ihr gegenüber und faltete die Hände auf der Tischplatte. „Hören Sie, es lag nicht in meiner Absicht, Sie so zu überfallen.“ Seufzend strich er sich durchs Haar. „Ich ahnte nicht, dass ich überhaupt jemanden auf Beringholm Slott antreffen würde, und als Sie plötzlich mit dem Gewehr vor mir standen …“
Lisbet fand, dass er mit seinen blauen Augen, die strahlten wie der Sommerhimmel über dem Siljansee, und dem blonden Haar wie ein typischer Schwede aussah – doch sein leichter Akzent wies ihn als Ausländer aus. Zudem hatte er vorhin am Telefon Deutsch gesprochen.
Sie atmete tief durch, klappte die Dokumentenmappe zu und schob sie zu ihm hinüber. „Hilda hat Ihnen also Beringholm Slott hinterlassen.“ Ihre Stimme klang selbst für ihre eigenen Ohren seltsam fremd. „Und was haben Sie nun damit vor?“
„Vielleicht verraten Sie mir zuerst
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