Das Schloß
Kleinlichkeit, denn jenes Diplom was war es? Bestätigung seiner Fähigkeiten und die behielt er doch, machten sie ihn unentbehrlich desto besser, und er hätte dem Obmann die Sache wirklich schwer nur dadurch gemacht, daß er ihm das Diplom gleich beim zweiten Wort vor die Füße geworfen hätte. Besonders bezeichnend scheint mir aber, daß Du Amalia gar nicht erwähnst; Amalia, die doch alles verschuldet hatte, stand wahrscheinlich ruhig im Hintergrund und betrachtete die Verwüstung.« »Nein, nein«, sagte Olga, »niemandem ist ein Vorwurf zu machen, niemand konnte anders handeln, das alles war schon Einfluß des Schlosses.« »Einfluß des Schlosses«, wiederholte Amalia, die unvermerkt vom Hofe her eingetreten war, die Eltern lagen längst zu Bett, »Schloßgeschichten werden erzählt? Noch immer sitzt Ihr beisammen? Und Du hattest doch gleich Dich verabschieden wollen, K., und nun geht es schon auf zehn. Bekümmern Dich denn solche Geschichten überhaupt? Es gibt hier Leute, die sich von solchen Geschichten nähren, sie setzen sich zusammen, so wie Ihr hier sitzt, und traktieren sich gegenseitig, Du scheinst mir aber nicht zu diesen Leuten zu gehören.« »Doch«, sagte K., »ich gehöre genau zu ihnen, dagegen machen Leute, die sich um solche Geschichten nicht bekümmern und nur andere sich bekümmern lassen, nicht viel Eindruck auf mich.« »Nun ja«, sagte Amalia, »aber das Interesse der Leute ist ja sehr verschiedenartig, ich hörte einmal von einem jungen Mann, der beschäftigte sich mit den Gedanken an das Schloß bei Tag und Nacht, alles andere vernachlässigte er, man fürchtete für seinen Alltagsverstand, weil sein ganzer Verstand oben im Schloß war, schließlich aber stellte es sich heraus, daß er nicht eigentlich das Schloß, sondern nur die Tochter einer Aufwaschfrau in den Kanzleien gemeint hatte, die bekam er nun allerdings und dann war wieder alles gut.« »Der Mann würde mir gefallen, glaube ich«, sagte K. »Daß Dir der Mann gefallen würde«, sagte Amalia, »bezweifle ich, aber vielleicht seine Frau. Nun laßt Euch aber nicht stören, ich gehe allerdings schlafen und auslöschen werde ich müssen, der Eltern wegen, sie schlafen zwar gleich fest ein, aber nach einer Stunde ist schon der eigentliche Schlaf zuende und dann stört sie der kleinste Schein. Gute Nacht.« Und wirklich wurde es gleich finster, Amalia machte sich wohl irgendwo auf der Erde beim Bett der Eltern ihr Lager zurecht. »Wer ist denn dieser junge Mann, von dem sie sprach«, fragte K. »Ich weiß nicht«, sagte Olga, »vielleicht Brunswick, trotzdem es für ihn nicht ganz paßt, vielleicht aber auch ein anderer. Es ist nicht leicht sie genau zu verstehn, weil man oft nicht weiß, ob sie ironisch oder ernst spricht, meistens ist es ja ernst, aber es klingt ironisch.« »Laß die Deutungen!« sagte K. »Wie kamst Du denn in diese große Abhängigkeit von ihr? War es schon vor dem großen Unglück so? Oder erst nachher? Und hast Du niemals den Wunsch von ihr unabhängig zu werden? Und ist denn diese Abhängigkeit irgendwie vernünftig begründet? Sie ist die jüngste und hat als solche zu gehorchen. Sie hat, schuldig oder unschuldig, das Unglück über die Familie gebracht. Statt dafür jeden neuen Tag jeden von Euch von neuem um Verzeihung zu bitten, trägt sie den Kopf höher als alle, kümmert sich um nichts, als knapp gnadenweise um die Eltern, will in nichts eingeweiht werden, wie sie sich ausdrückt, und wenn sie endlich einmal mit Euch spricht, dann ist es ‚meistens ernst, aber es klingt ironisch›. Oder herrscht sie etwa durch ihre Schönheit, die Du manchmal erwähnst. Nun Ihr seid Euch alle drei sehr ähnlich, das aber, wodurch sie sich von Euch zweien unterscheidet, ist durchaus zu ihren Ungunsten, schon als ich sie zum ersten Mal sah, schreckte mich ihr stumpfer liebloser Blick ab. Und dann ist sie zwar die jüngste, aber davon merkt man nichts in ihrem Äußern, sie hat das alterslose Aussehn der Frauen, die kaum altern, die aber auch kaum jemals eigentlich jung gewesen sind. Du siehst sie jeden Tag, Du merkst gar nicht die Härte ihres Gesichtes. Darum kann ich auch Sortinis Neigung, wenn ich es überlege, nicht einmal sehr ernst nehmen, vielleicht wollte er sie mit dem Brief nur strafen, aber nicht rufen.« »Von Sortini will ich nicht reden«, sagte Olga, »bei den Herren vom Schloß ist alles möglich, ob es nun um das schönste oder um das häßlichste Mädchen geht. Sonst aber irrst Du hinsichtlich
Weitere Kostenlose Bücher