Das Schloß
lesen, er liest sogar überhaupt keines, ‚Bleibt mir vom Leib mit Eueren Protokollen!› pflegt er zu sagen.« »Herr Landvermesser«, klagte die Wirtin, »Sie erschöpfen mich mit solchen Fragen. Ist es denn nötig oder auch nur wünschenswert, daß Klamm dieses Protokoll liest und von den Nichtigkeiten Ihres Lebens wortwörtlich Kenntnis bekommt, wollen Sie nicht lieber demütigst bitten, daß man das Protokoll vor Klamm verbirgt, eine Bitte übrigens, die ebenso unvernünftig wäre wie die frühere, denn wer kann vor Klamm etwas verbergen, die aber doch einen sympatischeren Charakter erkennen ließe. Und ist es denn für das was Sie Ihre Hoffnung nennen, nötig? Haben Sie nicht selbst erklärt, daß Sie zufrieden sein würden, wenn Sie nur Gelegenheit hätten vor Klamm zu sprechen, auch wenn er Sie nicht ansehn und Ihnen nicht zuhören würde? Und erreichen Sie durch dieses Protokoll nicht zumindest dieses, vielleicht aber viel mehr?« »Viel mehr?« fragte K., »auf welche Weise?« »Wenn Sie nur nicht immer«, rief die Wirtin, »wie ein Kind alles gleich in eßbarer Form dargeboten haben wollten. Wer kann denn Antwort auf solche Fragen geben? Das Protokoll kommt in die Dorfregistratur Klamms, das haben Sie gehört, mehr kann darüber mit Bestimmtheit nicht gesagt werden. Kennen Sie aber dann schon die ganze Bedeutung des Protokolls, des Herrn Sekretärs, der Dorfregistratur? Wissen Sie was es bedeutet, wenn der Herr Sekretär Sie verhört? Vielleicht oder wahrscheinlich weiß er es selbst nicht. Er sitzt ruhig hier und tut seine Pflicht, der Ordnung halber, wie er sagte. Bedenken Sie aber, daß ihn Klamm ernannt hat, daß er im Namen Klamms arbeitet, daß das was er tut, wenn es auch niemals bis zu Klamm gelangt, doch von vornherein Klamms Zustimmung hat. Und wie kann etwas Klamms Zustimmung haben, was nicht von seinem Geiste erfüllt ist. Fern sei es von mir damit etwa in plumper Weise dem Herrn Sekretär schmeicheln zu wollen, er würde es sich auch selbst sehr verbitten, aber ich rede nicht von seiner selbstständigen Persönlichkeit, sondern davon was er ist, wenn er Klamms Zustimmung hat, wie eben jetzt. Dann ist er ein Werkzeug, auf dem die Hand Klamms liegt, und wehe jedem, der sich ihm nicht fügt.«
Die Drohungen der Wirtin fürchtete K. nicht, der Hoffnungen, mit denen sie ihn zu fangen suchte, war er müde. Klamm war fern, einmal hatte die Wirtin Klamm mit einem Adler verglichen und das war K. lächerlich erschienen, jetzt aber nicht mehr, er dachte an seine Ferne, an seine uneinnehmbare Wohnung, an seine, nur vielleicht von Schreien, wie sie K. noch nie gehört hatte, unterbrochene Stummheit, an seinen herabdringenden Blick, der sich niemals nachweisen, niemals widerlegen ließ, an seine von K.’s Tiefe her unzerstörbaren Kreise, die er oben nach unverständlichen Gesetzen zog, nur für Augenblicke sichtbar – das alles war Klamm und dem Adler gemeinsam. Gewiß aber hatte damit dieses Protokoll nichts zu tun, über dem jetzt gerade Momus ein Salzbrezel auseinanderbrach, das er sich zum Bier schmecken ließ und mit dem er alle Papiere mit Salz und Kümmel überstreute.
»Gute Nacht«, sagte K., »ich habe eine Abneigung gegen jedes Verhör« und er ging nun wirklich zur Tür. »Er geht also doch«, sagte Momus fast ängstlich zur Wirtin. »Er wird es nicht wagen«, sagte diese, mehr hörte K. nicht, er war schon im Flur. Es war kalt und ein starker Wind wehte. Aus einer Tür gegenüber kam der Wirt, er schien dort hinter einem Guckloch den Flur unter Aufsicht gehalten zu haben. Die Schöße seines Rockes müßte er sich um den Leib schlagen, so riß der Wind selbst hier im Flur an ihnen. »Sie gehen schon Herr Landvermesser?« sagte er. »Sie wundern sich darüber?« fragte K. »Ja«, sagte der Wirt, »wurden Sie denn nicht verhört?« »Nein«, sagte K., »ich ließ mich nicht verhören.« »Warum nicht?« fragte der Wirt. »Ich wüßte nicht«, sagte K., »warum ich mich verhören lassen solle, warum ich einem Spaß oder einer amtlichen Laune mich fügen solle. Vielleicht hätte ich es ein anderesmal gleichfalls aus Spaß oder Laune getan, heute aber nicht.« »Nun ja gewiß«, sagte der Wirt, aber es war nur eine höfliche, keine überzeugte Zustimmung. »Ich muß jetzt die Dienerschaft in den Ausschank lassen«, sagte er dann, »es ist schon längst ihre Stunde. Ich wollte nur das Verhör nicht stören.« »Für so wichtig hielten Sie es?« fragte K. »O ja«, sagte der Wirt. »Ich hätte
Weitere Kostenlose Bücher