Das Schneemädchen (German Edition)
und stand auf. Er reichte Jack die Hand.
«Ich muss weiter. Esther wirft mir vor, dass ich den Tag vertrödle, wenn ich jetzt nicht nach Hause fahre.» Sein Händedruck war fest und freundschaftlich. «Vergiss nicht, was ich dir gesagt hab. Und wenn du so weit bist, die Felder zu roden, kommen wir gerne rüber und helfen. Der Tag vergeht schneller, wenn man Gesellschaft hat.»
Jack nickte. «Ich weiß es sehr zu schätzen.»
Er blieb allein am Tisch sitzen. Vielleicht war es falsch von ihnen, sich so abzusondern, Mabel hatte keine einzige Freundin, mit der sie sich austauschen konnte. Georges Frau mochte ein Geschenk des Himmels sein, besonders, wenn er, Jack, nach Norden ging, um im Bergwerk zu arbeiten, und Mabel auf dem Gehöft zurückblieb.
Sie würde abwehren. Hatten sie nicht alles hinter sich gelassen, um ein neues Leben zu beginnen, nur sie beide? Ich brauche Ruhe und Frieden, hatte sie ihm mehr als einmal gesagt. Sie war gewelkt und in sich zusammengesunken, und das hatte angefangen, als sie das Baby verloren hatten. Sie sagte, sie könne kein weiteres Familientreffen mehr ertragen, mit all dem dummen Geplänkel und Klatsch. Doch Jack erinnerte sich an noch etwas. Er erinnerte sich an die schwangeren Frauen, die lächelnd über ihren Bauch strichen, und an die Neugeborenen, die wimmerten, wenn sie unter den Verwandten herumgereicht wurden. Er erinnerte sich an das kleine Mädchen, das Mabel am Rock gezupft und «Mama» zu ihr gesagt hatte, weil es sie mit einer anderen Frau verwechselt hatte, und an Mabels Gesicht, als wäre sie geohrfeigt worden. Er erinnerte sich auch, dass er sie im Stich gelassen, sich weiter mit einer Gruppe Männer unterhalten und so getan hatte, als hätte er es nicht bemerkt.
Der älteste Sohn der Bensons würde demnächst heiraten, und es würde nicht lange dauern, bis ein Baby im Haus herumkrabbelte. Jack dachte an Mabel, an das kleine, traurige Lächeln und das Zucken in ihren Augenwinkeln, das Tränen auslösen sollte, die aber nie kamen.
Er nickte Betty zu, nahm die leere Kiste und ging hinaus zum Wagen.
Kapitel 3
Es war, als hielte der bleierne Himmel den Atem an. Der Dezember nahte, und im Tal schneite es noch immer nicht. Mehrere Tage verharrte die Temperatur bei dreißig Grad minus. Wenn Mabel hinausging, um die Hühner zu füttern, war sie wie betäubt von der Kälte, die ihr schneidend unter die Haut drang und in Hüftknochen und Gelenken schmerzte. Sie beobachtete ein paar trockene Schneeflocken, aber es war nur ein Gestöber, das vom Flusswind an freistehenden Gesteinsbrocken und Baumstümpfen zu kleinen schmutzigen Verwehungen aufgehäuft wurde. Es war schwierig, den spärlichen Schnee von dem Gletschersand zu unterscheiden, der stoßweise vom Flussbett heraufgeblasen wurde und alles überzog.
Jack sagte, die Leute in der Stadt seien froh, dass bisher kein Schnee gefallen war – so blieben die Bahngleise frei, und die Kohlenmine war in Betrieb. Andere aber sorgten sich, weil der tiefe Frost einen späten Frühling und spätes Pflanzen zur Folge haben würde.
Die Tage wurden kürzer. Das Licht reichte nur sechs Stunden, und es war ein dürftiges Licht. Mabel ordnete ihre Tage nach immer demselben Muster – waschen, flicken, kochen, waschen, flicken, kochen – und versuchte, sich nicht vorzustellen, unter dem Eis zu treiben wie ein vergilbtes Blatt.
Der Backtag war ein kleines Geschenk, ein Grund zur Freude. Sie stand früh auf und holte die Mehldose und eine Büchse Schmalz hervor, als sie Jacks Hand auf ihrer Schulter spürte.
«Nicht nötig», sagte er.
«Warum nicht?»
«Betty sagt, keine Kuchen mehr.»
«Diese Woche?»
«Nie mehr. Ihre Schwester backt jetzt für sie.»
«Oh», Mabel stellte das Mehl ins Regal zurück, verblüfft über die Schwere ihrer Enttäuschung. Die Kuchen waren ihr einziger echter Beitrag zum Unterhalt gewesen, eine Aufgabe, auf die sie einigermaßen stolz gewesen war. Und die Geld einbrachte.
«Wird es reichen, Jack, ohne das?»
«Ich finde schon eine Lösung. Mach dir deswegen keine Sorgen.»
Mabel erinnerte sich jetzt, dass sie einmal neben einem leeren Bett aufgewacht war. Er hatte bei flackerndem Kerzenschein am Küchentisch gesessen, vor ausgebreiteten Papieren. Sie war wieder eingeschlafen; damals hatte sie sich nichts weiter dabei gedacht. Aber heute Morgen sah er alt und müde aus. Er ging leicht gebeugt; er hatte gestöhnt, als er aus dem Bett stieg, und sich das Kreuz gehalten. Als Mabel ihn gefragt hatte, was
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