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Das schwarze Blut

Titel: Das schwarze Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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abgedichtet. Mit Rattanfasern.
Ja, Jacques Reverdi hatte einen Nachahmer.
Und sie teilte das Bett mit ihm.
Hinter ihr öffnete sich die Verbindungstür.
»Haben sie ihn gefunden?«
Marks Stimme war sanft, voller Fürsorge. Sie dachte: Ich will nicht sterben. Sie hörte, wie die Tür sich schloss. Das schleifende Geräusch war neu und verräterisch: Auch die Tür war abgedichtet. Rattanfasern, überall. Und in ein paar Stunden der Erstickungstod.
»Das macht nichts«, fuhr die Stimme fort. »Der Körper ist nichts. Nur der Geist zählt.«
Sie dachte: Ich bin Khadidscha, und ich will nicht sterben. Erst jetzt drehte sie sich um.
Lächelnd, noch im Mantel, stand er vor ihr. In der linken Hand hielt er eine Tüte Gebäck. In der rechten ein Fischermesser mit gebogener Klinge.
»Jacques Reverdi ist tot. Doch sein Werk geht weiter.«
Khadidscha wich zurück. Die Glocken läuteten noch immer. Die Sonne, der Wind, das Leben waren Tausende Kilometer weit fort hinter der Scheibe. Mark legte die Tüte auf der Kommode ab und trat einen Schritt vor. Er sah sie unter der in die Stirn fallenden Haarsträhne hervor an – und ihr schoss der absurde Gedanke durch den Kopf, dass seine Haare außergewöhnlich schnell wuchsen.
»In der Kammer dachte ich, die letzte Stufe meiner Initiation besteht darin, durch Reverdis Hand zu sterben, aber das war ein Irrtum: Das letzte Stadium, die letzte Erkenntnis ist, Reverdi zu werden. Sein Werk weiterzuführen. Jacques glaubte an seine Reinkarnation, und er hatte Recht.«
Langsam kam er auf sie zu. Sie drückte sich gegen die Balkontür, die Hände auf dem Rücken. Unter ihren Handflächen spürte sie einzelne Rattanfasern aus dem Spalt zwischen den beiden Flügeln hervorstehen.
»Das kann nicht sein«, flüsterte sie. »Man wird nicht einfach zum Mörder. Du kannst doch nicht derart unter seinem Einfluss stehen …«
Wieder lächelte Mark.
»Aber ich bin ja ein Mörder. Schon immer.«
Khadidscha wollte nichts hören. Kein Wort mehr.
»Reverdis Ritual hat mir die Wahrheit über mich gezeigt. Und durch mein letztes Koma, nach der Druckkammer, habe ich mein Gedächtnis wiedergefunden: Als ich aufwachte, wusste ich auf einmal wieder alles. Wusste, was sich hinter meinen früheren Amnesien verbarg. D’Amico, meinen Schulfreund, den habe ich getötet. Und ich habe Sophie getötet, meine Frau.«
Sie dachte: Das stimmt nicht. Er ist verrückt. Aber ihr Blick fiel auf die Tür in seinem Rücken: die Ritzen hermetisch abgedichtet. Die Lüftungsschlitze: verstopft. Sogar die Parkettfugen waren mit Material ausgefüllt! Wie lange mochte er dafür gebraucht haben? Das also war seine Beschäftigung gewesen, während sie in der Stadt unterwegs war: Er hatte seine Kammer der Reinheit präpariert.
Mit der linken Hand zog Mark die oberste Schublade der Kommode auf und entnahm ihr einen kleinen, lederbezogenen Kasten, den er auf den Boden stellte.
»All die Jahre habe ich mir eingebildet, ich suchte einen Mörder. Dabei habe ich nur einen Spiegel gesucht. Das Ebenbild, in dem ich mich wiedererkennen und finden konnte.«
»Das kann nicht sein«, flüsterte sie, wenig überzeugt.
Ein Knie auf dem Boden, nahm Mark aus dem Kasten ein Fläschchen mit bernsteinfarbenem Inhalt – Honig. Einen Pinsel mit langem Stiel. Eine kleine Öllampe, die wie ein Kännchen geformt war. Als er sich erhob, lächelte er wieder.
»Das habe ich bei einem Antiquitätenhändler in der Altstadt gefunden. Hübsch, nicht? Warst du auch dort? Er hat wirklich schöne Sachen …«
Er zog den Korken heraus und schnupperte am Flaschenhals. Den Blick auf Khadidscha geheftet, sprach er jetzt schneller:
»D’Amico war schwul. Er hat sich falsche Vorstellungen von unserer Freundschaft gemacht. Er wollte mich ins Schulklo zerren. Wir haben uns geprügelt. Dabei ist er gestürzt. Ich habe ihn an den Haaren gepackt und seinen Kopf an den Rand der Schüssel geschlagen. Dann hatte ich eine Idee: D’Amico war ein komischer Typ, der ständig mit einer Rasierklinge in der Tasche herumlief. Damit habe ich ihm die Pulsadern aufgeschnitten. Aber das Blut floss nicht so richtig, sodass ich ihm eine Herzmassage machen musste, um den Kreislauf in Schwung zu bringen … Dass dem Gerichtsmediziner die Stoßverletzung im Nacken auffallen würde, war klar; aber ich sorgte dafür, dass sich für ihn die zeitliche Abfolge umkehrte: Und tatsächlich schloss er auf Selbstmord mit anschließendem Sturz.
Dann merkte ich, dass ich einen Orgasmus hatte – die Gewalt, der

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