Das schwarze Blut
geschickt. Und mich bewusstlos gestellt. Später habe ich mich aus dem Krankenhaus davongestohlen, die Wachsbarren geholt, die ich mir im Voraus beschafft hatte, und habe bei ihm zu Hause auf ihn gewartet. Alles nicht besonders schwierig.«
Die ersten Sehstörungen stellten sich ein, schwarze Ränder schoben sich in ihr Gesichtsfeld. Nach und nach würden sämtliche Gehirnfunktionen verlöschen, eine nach der anderen. Nachdenken. Sie musste nachdenken! Und Zeit gewinnen.
»Aber heute Nacht«, stöhnte sie, »was … was wir getan haben? Wie kannst du …?«
Mark breitete die Arme aus. »Aber ich liebe dich, Khadidscha! Ich habe dich immer geliebt, seit dem Tag, an dem ich dich zum ersten Mal bei Vincent sah. Und deshalb sollst du die Erste meiner Serie sein. Auch Reverdi hat seine Frauen geliebt, das weiß ich. Es ist mir auf meiner Reise klar geworden. Eine radikale, immerwährende, läuternde Liebe.«
Mit gezücktem Messer trat er einen Schritt näher. Sein schweißglänzendes Gesicht war leichenblass, als wäre alles Blut in seiner geballten Faust zusammengeflossen.
»Hab keine Angst«, sagte er leise. »Wir werden gemeinsam warten, bis das Zimmer bereit ist. Danach werde ich ganz behutsam vorgehen, das verspreche ich dir.«
Khadidscha sprang zur Seite, zum Bett hin. Mark lächelte.
»Nein, meine Liebste. Du wirst dich jetzt nicht mehr bewegen. Sonst wird es sehr, sehr schmerzhaft für dich werden.«
Sie wich ihm abermals aus. Das Zimmer war nicht sehr groß, vier mal fünf Meter vielleicht, bot aber Platz genug für ein Katzund-Maus-Spiel. Ihre Benommenheit ließ ein wenig nach.
Auch die Sehstörungen verschwanden: Sie stand vorgebeugt, in der Haltung äußerster Konzentration. Niemals würde sie kampflos aufgeben. Im besten Fall käme sie davon. Schlimmstenfalls würde sie ein Gemetzel veranstalten. Sie würde ihm sein Ritual versauen – wie er selbst es mit seinem Mentor gemacht hatte.
»Ruhig, Khadidscha, ganz ruhig …«
Wieder breitete er die Arme aus, diesmal um ihr den Weg zu versperren. Mit dem Rücken zur Wand schob sie sich seitlich auf die Tür zu.
»Tu’s nicht, Khadidscha. Wenn du so weitermachst, wird dein Tod völlig würdelos sein. Ich werde dich ausbluten lassen, ich …«
Sie rüttelte am Türknauf: verschlossen. Sie hatte nichts anderes erwartet. Mark stürzte auf sie zu, aber wieder entkam sie ihm. Das Messer rutschte an der Tür ab. Als er herumfuhr, war sie schon an der Balkontür, packte das Beistelltischchen neben dem Bett und stieß es durch die Fensterscheibe.
»NEIN! NICHT!«
Sie hielt das Gesicht in den hereinwehenden Luftzug und atmete tief ein. Das genügte, um sie neu zu beleben. Mit einer einzigen, blitzschnellen Bewegung stülpte sie eine Ecke des Bettüberwurfs schützend über ihre Hand, riss einen großen Glassplitter aus dem Türrahmen und fuhr herum. Im selben Moment sprang Mark mit gezücktem Messer auf sie zu – und direkt in die Glasscherbe, die tief in seinen Leib eindrang. In einem Schwall schoss das Blut heraus und rann ihr heiß über die Schenkel.
Ungläubig starrte er sie aus seinen goldbraunen Augen an – erst jetzt fiel ihr auf, dass die Iris einen dünnen jadegrünen Rand hatte. Wie erstarrt stand er da, wenige Zentimeter von ihr entfernt. Aus seinem Mundwinkel, unterhalb des Schnurrbarts, rann schon ein dünner Blutfaden. Sie dachte daran, dass dieser Mund sie geküsst, dass sie diese Schultern gestreichelt, diese Brust geleckt hatte. Und ihre Willenskraft verdoppelte sich. Sie schob sich zwischen ihn und den Türrahmen mit der eingeschlagenen Scheibe.
Ungeschickt versuchte sein Arm sie zu packen, er taumelte vorwärts und stolperte durch die zerbrochene Scheibe. Vom anderen Ende des Zimmers aus starrte Khadidscha auf seinen Rücken, der sich über die blutende Wunde krümmte. Ein Bild aus der vergangenen Nacht schoss ihr durch den Kopf: sein gekrümmter Körper, der sich von einer Woge der Lust emporgehoben gegen ihren nackten Leib stemmte. Und dieses Bild elektrisierte sie. Mit einem Schrei stürzte sie sich auf ihn, die rechte Schulter voraus. Sie spürte, wie Marks Rücken sich anspannte, sich kurz aufbäumte und nachgab. Sie spürte, wie der Türrahmen splitterte. Sie spürte ihn vornüberfallen und sich selbst mit ihm. Er prallte gegen das schmiedeeiserne Balkongeländer und zog sich daran hoch. Wie Adlerfänge, dachte sie, und diese Vorstellung verlieh ihr noch einmal eine ungeahnte Kraft. Sie warf sich ihm zu Füßen, umklammerte seine Knie und
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