Das schwarze Blut
stemmte sich mit übermenschlicher Anstrengung in die Höhe. Vollkommen außer sich.
Mark fiel mit dem Kopf voraus. Sein letzter Versuch, sich noch am Geländer festzuhalten, war vergeblich.
Khadidscha brach mitten in den Glasscherben zusammen, doch sie spürte nichts. Ihre Kehle war zugeschnürt, ihr Atem stockte. Es verging eine Weile. Dann wurde sie sich des Sonnenlichts gewahr, der herbstlichen Kühle, der Stille – die Glocken waren verstummt.
In ihren Handflächen, ihren Beinen, ihrem Hintern steckten Glasscherben. Aber sie hatte das Gefühl, dass sämtliche Wunden sich tief in ihrem Rachen konzentrierten. Sie hatte einen Geschmack nach Kupfer im Mund.
Endlich fand sie die Kraft, aufzustehen. Sie beugte sich über das Balkongeländer.
Es war alles real. Marks Leiche, zusammengekrümmt, mit geballter Faust, tief unter ihr auf dem Lavastein. Die alten Frauen, die näher kamen. Die eng zusammenstehenden Häuser, die den Eindruck der Tiefe verstärkten. Ein Schwarz-WeißGemälde. Mit einem einzigen Farbklecks dazwischen: der roten Blutlache, die sich auf dem Pflaster ausbreitete, bis zu den schwarzen Schuhen der Witwen.
Khadidscha starrte hinab. Die Frauen umringten die Leiche wie Geister, die einen der Ihren wiedererkennen. Hier und dort blickte ein hostienbleiches Gesicht zu ihr herauf.
Die Welt begann zu schwanken. Nein, sie selbst war es, die taumelte. Einen Moment lang, für den Bruchteil einer Sekunde, war sie versucht, allem ein Ende zu machen und zu springen, dem Tod in die Arme, der sie so dicht gestreift, der ihr gesamtes Universum zerstört hatte.
Nein.
Sie klammerte sich ans Geländer und murmelte in die Sonne hinein:
»Khadidscha.«
Inmitten dieser Wüste war sie noch am Leben.
Ein Quarz. Eine Sandrose. Einzigartig.
Das war die letzte Gewissheit, die ihr geblieben war.
»Khadidscha.«
Lebendig.
FINIS
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