Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
vermute mal«, sagt Rebecca, jetzt ohne ihren irischen Bühnenakzent, »dass ich etwas mit dem Geld hier tun soll, bevor die Action beginnt.«
»Zeit für einen weiteren Trip nach Miller.« Auf ein unter
einem fiktiven Namen eingerichteten Konto bei der State Provident Bank in Miller, vierzig Meilen von hier, werden regelmäßig Barbeträge eingezahlt, die von Patientenguthaben abgeschöpft werden, die ursprünglich für zusätzliche Anschaffungen und Dienstleistungen bestimmt waren. Chipper dreht sich mit Händen voller Geld auf den Knien um und sieht zu Rebecca auf. Er sinkt auf die Fersen zurück und lässt die Hände in den Schoß fallen. »Mann, hast du tolle Beine. Mit solchen Beinen müsstest du eigentlich berühmt sein.«
»Ich dachte schon, du würdest sie nie bemerken«, sagt Rebecca.
Chipper Maxton ist zweiundvierzig Jahre alt. Er hat ein tadelloses Gebiss, noch volles Haar, ein breites, aufrichtiges Gesicht und eng stehende braune Augen, die immer etwas feucht wirken. Außerdem hat er zwei Kinder: Trey, neun, und Ashley, sieben. Bei Ashley ist vor kurzem Hyperaktivität diagnostiziert worden, was Chipper nach seiner Schätzung ungefähr 2000 Dollar im Jahr allein für Medikamente kosten wird. Und er hat natürlich auch eine Frau – seine Lebenspartnerin Marion, neununddreißig Jahre alt, die mit ihren eins fünfundsechzig dennoch gut 85 Kilo auf die Waage bringt. Zu diesen Segnungen kommt noch, dass Chipper als Folge einer unklugen Investition in das Spiel der Brewers – über das George Rathbun noch immer poltert – seinem Buchmacher seit gestern Abend 13 000 Dollar schuldet. Er hat sie bemerkt, o ja, das hat er, Chipper hat Ms. Vilas’ prächtig arrangierte Beine bemerkt.
»Bevor du dort rüberfährst«, sagt er, »könnten wir’s uns ja noch auf dem Sofa gemütlich machen und ein bisschen herumalbern.«
»Aha«, sagt Rebecca. »Was meinst du mit herumalbern genau?«
»Schmatz, schmatz, schmatz«, sagt Chipper und grinst wie ein Satyr.
»Du romantischer Schelm, du«, sagt Rebecca, eine Bemerkung, deren Sinn ihrem Arbeitgeber völlig entgeht. Chipper bildet sich tatsächlich ein, er sei romantisch.
Sie gleitet elegant von ihrem Hochsitz herab, während Chipper
sich unelegant hochstemmt und die Safetür mit dem Fuß zudrückt. Seine Augen glänzen feucht, als er ein paar angriffslustig stolzierende Schritte über den Teppich macht, einen Arm um Rebecca Vilas’ schlanke Taille schlingt und mit der anderen Hand einen dicken braunen Umschlag auf den Schreibtisch wirft. Er zurrt bereits an seinem Gürtel, noch bevor er Rebecca in Richtung Sofa zu ziehen beginnt.
»Ich kriege ihn also zu sehen?«, sagt die clevere Rebecca, die genau weiß, wie sich das Gehirn ihres Liebhabers in Pudding verwandeln lässt …
… aber bevor Chipper ihr gefällig ist, schweben wir vernünftigerweise wieder in die Eingangshalle hinaus, die noch immer leer ist. Der Korridor links neben der Empfangstheke führt uns zu zwei großen Türen aus hellem Holz mit Glaseinsätzen, auf denen DAISY und BLUEBELL steht – die Namen der Gebäudeflügel, zu denen sie führen. Weit hinten im grauen Korridor von Bluebell lässt ein Mann, der einen ausgebeulten Overall trägt, Asche von seiner Zigarette auf die Fliesen rieseln, über die er mit exquisiter Langsamkeit einen schmutzigen Mopp hin und her bewegt. Wir schweben zum Daisy-Trakt hinüber.
Die funktionalen Teile des Maxton sind weit weniger attraktiv als die öffentlichen Bereiche. Der Korridor wird auf beiden Seiten von nummerierten Türen gesäumt. Unter den Ziffern stecken in Plastikrahmen handgeschriebene Kärtchen mit den Namen der Zimmerbewohner. Vier Türen weiter steht ein Schreibtisch, an dem ein stämmiger Altenpfleger in leicht schmuddeliger weißer Uniform aufrecht sitzend döst, gegenüber den Türen zu den Männer- und Frauentoiletten; im Maxton bieten nur die teuersten Zimmer – die im Trakt Asphodel auf der anderen Seite der Eingangshalle – mehr Komfort als ein Waschbecken. Überall auf dem gefliesten Korridor, der sich vor uns zu unwahrscheinlicher Länge erstreckt, trocknen schmutzige Moppwischspuren an und werden hart. Auch hier scheinen die Wände und die Luft denselben Grauton zu besitzen. Sehen wir uns die Korridorecken und den Winkel, in dem Wände und Decke zusammenstoßen, genauer an, entdecken wir Spinnweben, alte Flecken, Schmutzansammlungen. Desinfektionsreiniger,
Salmiakgeist, Urin und Schlimmeres parfümieren die Luft. Wie eine ältere
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