Das schwarze Messer
wählte eine Londoner Nummer. Er schloss die Augen und atmete tief durch, während es am anderen Ende der Verbindung klingelte. Es roch nach Leder, nach fernöstlichen Gewürzen und Klimaanlage.
Der Geruch des Reichtums. Auch der konnte beruhigend wirken.
»Detektei Jeff Holden«, meldete sich eine müde Männerstimme. In London musste es kurz nach Mitternacht sein.
»Whitstock«, sagte Alain. »Ich brauche wieder einmal ein paar tiefer gehende Ermittlungen. In Japan allerdings. Ist das ein Problem?«
Er hörte ein Gähnen.
»Nein«, sagte der Detektiv dann. »Das ist kein Problem.«
Etwa zehn Tage später tauchte der Engländer wieder bei Tanjirō auf. Diesmal bat er höflich um einen Termin für eine, wie er es bezeichnete, wichtige Unterredung . Tanjirō beschloss, ihn in seinem Shamusho zu empfangen, seinem Büro und Arbeitszimmer.
Er kam pünktlich, zog ohne Aufforderung die Schuhe aus, ehe er die Tatamis betrat, und verneigte sich in einigermaßen akzeptabler Form, für einen Gaijin zumindest. Als er auf Tanjirōs Einladung hin Platz nahm, tat er es in tadellosem Fersensitz.
Vielleicht war er doch kein Verrückter.
Er überreichte Tanjirō eine Visitenkarte, auf der nur ein Name und eine Mobiltelefonnummer standen. Er sei viel unterwegs, erklärte der Engländer. Und es ging natürlich immer noch um das Schwarze Messer.
»Ich habe mir erlaubt, Nachforschungen anzustellen, Tanjirō- sensei «, sagte der Fremde höflich und überreichte ihm eine dünne Mappe. »Dies ist eine Expertise über Objekte, die sich nachweislich im Besitz des ersten japanischen Kaisers befunden haben. Ihr Messer gehört nicht dazu. Nach Auffassung führender Experten handelt es sich dabei nicht um einen religiösen Gegenstand. Es ist, mit anderen Worten, nicht heilig.«
Tanjirō blätterte in dem Schriftstück. Alle Texte waren in Japanisch und in Englisch verfasst. Der Bericht war mit zahlreichen Bildern illustriert und die als Verfasser genannten Namen sagten ihm etwas, waren die von Gelehrten der Universität Tokio.
»Wozu wollen Sie das Messer dann?«, fragte Tanjirō.
Es folgte ein seltsamer Moment. Einen Augenblick lang schien der Engländer zu erstarren. Ein Sonnenstrahl fiel durch die geöffnete Schiebetür auf seinen Kopf, ließ die zahlreichen grauen Strähnen in seinem Haar hell aufleuchten. Gleich darauf schob sich wieder etwas vor die Sonne, eine Wolke, ein Ast, und es war vorbei.
Der Mann erklärte ruhig, das Messer interessiere ihn aus künstlerischen Gesichtspunkten. »Die Machart, Sie verstehen? Die Art, wie der Stein bearbeitet wurde. Ich sammle derartige Gegenstände.«
Tanjirō legte die Mappe vor sich hin, so, dass sie der Engländer wieder an sich nehmen konnte, falls er das wünschte. »Es tut mir leid. Auch wenn es stimmen sollte, dass unsere Annahmen hinsichtlich des Messers falsch sind – dass es also nicht aus dem Besitz Jimmus stammt –, ist es dennoch ein Teil der Tradition dieses Schreins. Ich stehe in der Verantwortung, diese Tradition zu erhalten. Ich fürchte, ich kann Ihrem Wunsch daher nicht entsprechen.«
Tanjirō hatte damit gerechnet, dass der Engländer daraufhin wieder sein Gesicht verlieren würde – die Gaijin waren, was das anbelangte, erstaunlich schmerzfrei –, aber sein Gegenüber neigte nur höflich das Haupt. »Das ist ein gutes Stichwort. Verantwortung. Ich habe gehört, dass dieser Schrein, für den Sie Verantwortung tragen, in finanziellen Nöten ist. Sie haben den Eingangsbereich restaurieren lassen und die Umzäunung erneuert, um Auflagen der Stadt zu erfüllen, und diese Arbeiten haben doppelt so viel gekostet wie veranschlagt. Ich würde Ihnen für das Messer genug zahlen, um dieses Minus auszugleichen, und noch mehr.«
Tanjirō musterte ihn verdutzt. »Woher wissen Sie das?«
Der Mann antwortete nicht.
Tanjirō schob die Tür zum Garten zu. Normalerweise liebte er es, während der Büroarbeit das Wasser im nahen Teich plätschern zu hören und den leisen Wind zu spüren, der um diese Jahreszeit durch den Schrein wehte. Doch heute kam der Wind aus einer Richtung, aus der er die Geräusche der Stadt herantrug – hupende Autos, Radiomusik, Stimmengewirr –, und das störte ihn in diesemMoment.
»Es gibt Menschen, die den Schrein finanziell unterstützen«, sagte er. »Nur so kann ein Schrein existieren – dank der Unterstützung seiner Ujiko , seiner Gemeindemitglieder, wie Sie sagen würden. Wir sind gegenwärtig in einer schwierigen Situation, das
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