Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)
Bücher lagen vor ihr, erleuchtet vom Licht, das durch vier hohe Schiebefenster fiel. Sie betete, dass die Glastafel von früher, die aufgrund fehlender regelmäßiger Übung trübe geworden war, wieder vor ihr stehen würde. Sie öffnete die Bücher in der richtigen Reihenfolge, verfolgte mit dem Finger die Spalten nach unten, während sie gleichzeitig rechnete und prüfte. Alles schien in Ordnung zu sein. Allmächtiger Gott, bitte steh mir bei …
Eine Stunde später öffnete sich die Tür. Olivia schloss das letzte Buch und erhob sich. Nicht zwei Männer kamen in die Bibliothek, sondern sieben: Lord Bradley, ein schwarzhaariger junger Mann, den sie für Herbert Fitzpatrick hielt, sein Vater, Sir Fulke, der Anwalt, den sie vorher schon kurz gesehen hatte, der Wachtmeister Mr Smith, der örtliche Friedensrichter und ein weiterer Mann, den sie nicht kannte.
Lord Bradley trat zwischen Olivia und die Gruppe der Männer. »Sir Fulke, das ist Miss Keene, die Tochter von Simon Keene.«
Vor ihr stand der hochmütige Gentleman aus der Krone und Krähe , jetzt zwölf Jahre älter. Die Jahre waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen.
Seine dünnen Lippen kräuselten sich. »Ach … das dressierte Äffchen, jetzt ganz erwachsen.«
Sie spürte, wie angespannt Lord Bradley neben ihr war. »Sir Fulke!«
Olivia bezweifelte, dass der Mann Edwards eiskalte Warnung überhaupt hörte.
»Wie ihm das Schicksal in die Hände spielte«, sprach Sir Fulke weiter. »Dass ich das Anwesen seines Herrn kaufen und mein eigener Verwalter ihn weiter beschäftigen sollte! Und Keene wartete den richtigen Zeitpunkt ab, er erschlich sich das Vertrauen meines Verwalters, arbeitete sich in mein Geschäft und meine Bücher ein, und als er sich seiner Position sicher war, schlug er zu und dachte, ich würde es nicht merken. Tja, und jetzt macht das Schicksal eine grausame Wende und er sitzt in seiner eigenen Falle.«
Olivia schaute dem Mann in die Augen. »Das Gleiche könnte ich von Ihnen sagen, Sir.«
Er grinste. »Und wie soll ich das verstehen?«
»Ich bin sehr froh, dass Ihr Anwalt und unser Wachtmeister heute hier sind und auch der örtliche Friedensrichter«, bemerkte Olivia. »Ich glaube, das Schicksal ist immer noch am Werk.«
»Sie reden Unsinn, Mädchen. Wenn Sie meinen, Sie könnten mich mit Rätseln verwirren, haben Sie sich getäuscht.«
Olivia zwang sich zu einem Lächeln und machte einen neuen Anlauf. »Es freut mich, dass Sie so gesund aussehen, Sir Fulke«, begann sie. »Mr Smith sagte mir, Sie hätten einen harten Schlag auf Ihren Kopf bekommen. Er dachte, Sie hätten vielleicht einen Sturz gehabt, zum Beispiel eine Treppe hinunter.« Das nächste Lächeln fiel ihr leichter. »Es war freundlich von Ihnen, den Wachtmeister nicht darüber zu informieren, wo Sie verletzt wurden. Denn das hätte für meinen Vater sehr schlecht ausgesehen.«
Er kniff die Augen zusammen, antwortete aber nicht.
»Die hochgeachtete Mrs Atkins sagt, dass sie Sie in unserem Haus gefunden hat, bewusstlos.«
Wie sie gehofft hatte, focht er Mrs Atkins Aussage nicht an. Jeder im Dorf hatte Respekt vor der Hebamme. Die meisten hatten ihre Dienste bei Entbindungen in Anspruch genommen oder waren durch ihre Hände auf die Welt gekommen. Sir Fulke lebte lang genug in Withington, um zu wissen, wie sehr sie geschätzt wurde.
Olivia fuhr fort: »Ist es nicht möglich, dass Sie natürlich Simon Keene die Schuld an dieser Verletzung gaben und dass Sie deshalb jetzt eine so harte Strafe fordern? Ist das nicht genau die Rache, die Sie meinem Vater unterstellen?«
»Wovon reden Sie?«
»Ich vermute, Sie könnten unsere Treppe hinuntergefallen sein, aber ich sehe keinen Grund, warum Sie im ersten Stock unseres Hauses gewesen sein sollten, wenn sich dort nur mein Schlafzimmer und das alte Schulzimmer befinden. Können Sie mir einen nennen?«
Er starrte sie kalt an. »Mir fällt kein Grund ein.«
»Ist dann nicht eine andere Erklärung viel plausibler? Wurden Sie nicht in Wirklichkeit von hinten niedergeschlagen? Von einem Schurken, der zu feige war, um von Mann zu Mann mit Ihnen zu kämpfen?«
Er gab keine Antwort, doch seine Augen blitzten argwöhnisch.
»Das würde eine Menge erklären«, sprach Olivia weiter. »Es würde erklären, warum Simon Keene das Dorf so kurz darauf wie ein schuldiger Mann verließ. Ein Feuerhaken kann eine Menge Schaden anrichten. Mehr als ein Treppensturz.«
»Davies«, sagte Sir Fulke zu seinem Anwalt, während sein Blick
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