Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)
Glas auf, es ist Felix. Er steckt mit meinem Vater und Walters zusammen und lernt so viel wie möglich über die Verwaltung eines Anwesens.
Mein Vater hebt grüßend eine Hand und ich winke zurück. Es tut mir gut, ihn hier zu haben und zu sehen, wie wunderbar er seine Sache macht.
Meine Mutter ist an diesem Nachmittag nicht bei uns, denn sie ist in der Schule beschäftigt, die Edward am Rand von Arlington für uns gebaut hat. Dort ist sie Eigentümerin und Schulleiterin. Sie liebt ihre Arbeit und die Schülerinnen so sehr! Ich habe das erste Jahr an ihrer Seite unterrichtet, bis unser Avery auf die Welt kam. Dann – so unglaublich das klingen mag – stellten wir Miss Ripley als Hilfe für meine Mutter ein. Die frühere Gouvernante ist so froh, einen Platz zu haben und dem Armenhaus entgangen zu sein, dass sie den Vorgaben und Lehrmethoden meiner Mutter folgt, ohne auch nur ein einziges Mal zu den strengen Methoden zurückzukehren, die sie mir beschrieben hatte.
Ich bin mindestens einmal in der Woche in der Schule, um Mathematik zu unterrichten und zu erfahren, wie die Schülerinnen vorankommen. Becky ist jetzt eine der Schülerinnen, genau wie Dorys jüngere Schwester. Es ist befriedigend zu sehen, wie sie lernen und als wertvolle junge Frauen Selbstvertrauen gewinnen.
Um die Schule zu erreichen, muss ich an der Arrestzelle des Dorfes vorbei. Jedes Mal schaue ich das kleine Gebäude an und erinnere mich unwillkürlich. Wie lange das inzwischen her zu sein scheint! Ich bin froh darüber.
Ich schüttele die Gedanken an die Vergangenheit ab, schaue zum Ufer und beobachte sie – diese Männer aus der Familie meines Sohnes. Mr Croome, Lord Brightwell, Edward, Andrew. Urgroßvater, Großvater, Vater und Adoptivbruder. Und unser zweiter Großvater ist im Haus. Wie gesegnet sind wir alle!
Als könne er meine Gedanken spüren, schaut Edward, die Angelrute in der Hand, über die Schulter zu mir und unsere Blicke treffen sich. Sein verständnisvolles Lächeln wärmt mir das Herz.
Plötzlich strafft sich seine Leine und wird ihm fast aus der Hand gerissen. »Ich glaube, ich habe einen!«, ruft er mit aufgeregter Stimme wie ein kleiner Junge. Sofort ist Mr Croome bei ihm – er legt die Hand auf Edwards Schulter, ermutigt ihn und gibt ihm Anweisungen, wie er die Beute an Land ziehen kann. Mit Rührung im Herzen und im Blick beobachte ich es.
Und dann wird ein Fisch, ein sehr winziger Fisch, unter Audreys und Andrews Jubelrufen an Land gebracht. Von Mr Croomes finsterem Blick ist nichts mehr zu sehen, als er Edward auf den Rücken klopft und mit heiserer Stimme sagt: »Gut gemacht, Junge. Gut gemacht.«
Als Edward noch einmal zu mir herüberschaut, stehen Tränen in seinen geliebten blauen Augen und ich spüre, wie sich meine Augen ebenfalls mit Tränen füllen. Ich schicke noch einmal ein Dankgebet zu Gott für alles, was er in unserem Leben getan hat.
Wirklich gut gemacht.
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Nachwort
Zu diesem Roman wurde ich von Mahlers Dritter Sinfonie inspiriert, die ich vor vielen Jahren auf einem Ausflug nach Davenport, Iowa, hörte. Ich gebe zu, dass ich selten klassische Musik höre, aber als ich es an jenem Tag tat, entwickelten sich ganze Szenen wie ein Kinofilm in meinem Kopf. Heute ist von der Originalgeschichte wenig geblieben, was – hoffentlich – bedeutet, dass ich seit damals besser recherchiere und schreibe. Trotzdem bleibt Mahlers Dritte Sinfonie die »Filmmusik« der ersten zwei Kapitel.
Brightwell Court existiert nicht als Ort, aber er basiert sehr frei auf dem realen, sehr malerischen Bibury Court im Cotswold-Dorf Bibury, das der Maler William Morris als »schönstes Dorf in England« bezeichnete. Vielen Dank an den Schriftsteller Davis Bunn, der mir und meinem Mann für unsere erste Englandreise empfohlen hat, dort Tee zu trinken. Wir sind glücklich, diesen Rat befolgt zu haben. Es war nicht nur eine Freude, das mit Efeu überwachsene Herrenhaus im Tudorstil, das hübsche, an den gewundenen Fluss Coln angrenzende Gelände und die gierigen Enten, die an unseren Scones knabberten, zu erleben, sondern ich stellte auch fest, dass dies ein idealer Schauplatz für Das Schweigen der Miss Keene wäre. Ich bin nicht die Erste und werde auch nicht die Letzte sein, die einen Roman an diesen idyllischen Ort verlegt. Wenn Sie je die Gelegenheit haben, sollten Sie Bibury selbst einmal besuchen.
Gouvernanten haben mich fasziniert, seit meine Lehrerin uns in der sechsten Klasse Jane Eyre vorlas, in
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