Das Schweigen der Tukane
…»
«Na, na, nur keine Beleidigungen! Getroffene Hunde bellen.»
Bevor Nadine dem Staatsanwalt das Gesicht zerkratzen konnte, mischte sich Ferrari ein.
«Es geht Sie wirklich nichts an. Und erst recht nicht, ob Nadine und ich ein Verhältnis haben. Um es klarzustellen, Nadine klaute meine Lottoscheine, die ich mir zurückholen wollte.»
«Sie spielen Lotto?»
«Manchmal.»
«Mit System?»
«Nicht wirklich. Ehrlich gesagt, spiele ich immer die gleichen Zahlen. Mein Geburtstag, die von Monika und Nikki. Dann halte ich mich an verschiedene Muster. Hier zum Beispiel ist ein kleines Schweizer Kreuz entstanden. Spielen Sie auch?»
«Nur ab und zu. Das mit dem Schweizer Kreuz ist höchst interessant. Zeigen Sie mir doch einmal Ihre Scheine.»
Nadine warf kopfschüttelnd die zerknitterten Lottoscheine auf den Tisch.
«Die kann ich so nicht mehr aufgeben.»
«In einer deiner Schubladen ist sicher noch ein kleiner Vorrat versteckt. Spieler sind Süchtige und bei Süchtigen ist der Stoff nicht weit.»
Staatsanwalt Borer und Ferrari sahen Nadine missbilligend an, bevor sie sich wieder dem wahren Leben zuwandten.
«Sehr interessant! Ah, hier spielen Sie eine Diagonale, da eine Vertikale. Ausgezeichnet. Und die Zahlenkombinationen, alles Primzahlen, soweit ich es beurteilen kann. Warten Sie …», er griff nach seiner Brieftasche und legte einige Lottozettel daneben, «das sind meine Zahlen. Ich spiele sie seit mehreren Jahren. Mit Erfolg. Die obere Reihe sind Tage, die für mich von besonderer Bedeutung sind. Hier zum Beispiel mein Hochzeitstag, mein eigener Geburtstag, der Geburtstag meines Sohnes und der meiner Tochter. Und das hier sind Daten aus der Weltgeschichte. Das mit der Diagonale und den Primzahlen werde ich mir merken. Ganz hervorragend, Ferrari. Sie überraschen mich doch immer wieder.»
«Auf die Idee mit Geschichtsdaten bin ich noch nie gekommen. Man könnte zum Beispiel den Tag der ersten Mondlandung …»
«… oder die Ermordung von John F. Kennedy nehmen. Ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet.»
«Ich möchte Ihnen noch meine neuste …»
«Nicht, dass ich die höchst interessante Unterhaltung stören möchte, aber wollten Sie uns nicht einige Fragen stellen?», schaltete sich Nadine ein. Ihr zynischer Unterton war nicht zu überhören. «Oder sind Sie nur gekommen, um sich mit dem Kommissär über die Sucht von Spielern im Allgemeinen und die Sucht von Beamten im Speziellen zu unterhalten?»
«Fragen? Was für Fragen? Ah ja, natürlich, es geht um diesen Arthur Koch.»
Borer richtete sich zur vollen Grösse auf und schob seine Lottozettel in die Brieftasche.
«Er ist Wachtmeister bei der Sitte.»
«Anscheinend bin ich der Einzige hier im Kommissariat, der vom Verhältnis des Wachtmeisters mit einer Milieudame nichts wusste.»
«Sicher nicht grundlos.»
«Wie darf ich das verstehen, Frau Kupfer?», zischte der Staatsanwalt.
«Sie wären der Letzte, dem ich so etwas auf die Nase binden würde.»
«Aha! Klare Worte. Sie halten mich für einen Schwätzer. Nun, wie auch immer. Ich lasse mir von Ihnen meine gute Laune nicht vermiesen.»
«Was wollen Sie eigentlich von Nora Schüpfer?»
«Ich? Nichts! Aber Sie wollen etwas von ihr, wenn auch nicht ganz freiwillig.»
«Hören Sie mit den dummen Spielchen auf, Herr Staatsanwalt. Was soll dieser theatralische Auftritt?»
«Es gibt zu tun, Herrschaften. Kennen Sie Peter Grauwiler?»
«Den kennt doch wohl jeder. Kein offizieller Anlass ohne unseren schicken Nationalrat. Ein Hinterbänkler in Bern, aber sehr volksnah. Alles, was rechts von der Mitte ist, liebt ihn.»
«Tja, Nora Schüpfer mochte ihn anscheinend nicht besonders.»
«Was heisst das?», hauchte Nadine. Jegliche Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.
«Heute Morgen wurde Peter Grauwiler in Nora Schüpfers Luxusappartement ermordet. Von ihr fehlt seither jede Spur.»
2. Kapitel
Ferrari erhob sich. Somit erübrigte sich das Gespräch mit Arthur Koch, zumindest vorerst. Es gab einen neuen Fall. Eine dunkle Vorahnung liess ihn nichts Gutes erwarten. War das nicht ein seltsamer Zufall? Eben noch bedrängte ihn Nadine, mit dem Wachtmeister wegen dessen Beziehung zur Edelprostituierten Nora Schüpfer ein ernstes Wörtchen zu reden, als diese wenig später verdächtigt wird, den Nationalrat Peter Grauwiler ermordet zu haben. Wenn das nur mit rechten Dingen zu und herging.
«Weiss es Koch schon?»
«Von mir nicht, Frau Kupfer. Das ist nicht meine Aufgabe, aber vielleicht hat sie ihn
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