Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schwein war’s: Kriminalroman (German Edition)

Das Schwein war’s: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das Schwein war’s: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Caldwell
Vom Netzwerk:
Autos überholten ihn, ein Lastwagen, ein Kleintransporter, weitere Autos. Er hatte es aufgegeben, um Hilfe zu bitten. Auch blickte er sich nicht mehr um. Er wusste ohnehin, dass man ihmfolgte. Er konnte es nicht ändern. Es kam, wie es kommen musste, die Sonne sank, die länger werdenden Schatten legten sich auf Land und Meer, auf die Inseln und Weideflächen an den Hängen und in den Tälern, und Aaron marschierte auf der dunkler werdenden Straße, erreichte schließlich die Stadt und auch den Zufluchtsort, den er sich für das Versenken in sein Leid und seinen Kummer auserkoren hatte – die ganze Zeit, wie es schien, in Gewahrsam eines Schweins.

Kapitel 2
     
    Aaron blickte aus dem Schlafzimmerfenster. Unmittelbar vorm Haus erstreckte sich im Morgenlicht die ausgedehnte Weide und reichte bis ans Ende der Landzunge. Sie kam ihm kleiner vor, als er sie in Erinnerung hatte – was freilich nicht anders sein konnte, war er selber doch in den dazwischen liegenden Jahren zu recht beachtlicher Höhe aufgeschossen. Man hatte die Wiese zum Heumachen gemäht, ihr Gras war jetzt kurz, aber weich, und so glich sie nicht einem Stoppelfeld. Er empfand sie immer noch als ein Sperrgebiet und demzufolge als eine nicht enden wollende Verlockung. Aus Furcht, er könne unbedacht geradewegs zur Steilküste rennen und abstürzen oder beim Spielen einem Ball bis über die Abbruchkante hinterherjagen, hatte man ihn vor den dort lauernden Gefahren gewarnt und ihm mit Strafen, zu grässlich, um sie zu benennen, gedroht, falls er sich unbegleitet ins verbotene Gebiet wagte. Großtante Molly war sich in ihrer Altersweisheit darüber im Klaren, dass gesunder Menschenverstand oder die Sorge um seine Sicherheit und sein Wohlergehen allein wenig bewirken würden, und hatte deshalb in der Erde verborgene Schlünde erfunden, die sich beim bloßen Berühren mit der Zehe auftaten und ihn verschlangen und in eine Unterwelt beförderten, wo es Vorrichtungen gab, die eigens dazu geschaffen waren, ungezogene Jungen das Fürchten zu lehren. Die beiläufige Erwähnung von Geschöpfen mit Augen so groß wie Untertassen und unstillbarem Appetit tat ein Übriges. Unter diesem Feld der Verlockung befand sich der Zufluchtsort, an den sich die Schlangen gerettet hatten, als Patrick sie verfluchte. Die reuigen Kinder würden so laut heulen und jammern, dass keine flehentliche Bitte ans Ohr des imHimmel weilenden Heiligen dringen könnte, wenn sie erbarmungslos zu spüren bekamen, was sie wegen ihres Ungehorsams verdient hatten. (Wenn Tante Molly diese Dinge ausmalte, klang es mehr wie eine dringliche Bitte und nicht wie ein strenges Verbot. Wenigstens ihretwegen sollte er sich vor einem solchen Schicksal bewahren. Es würde seine Tante peinigen, wissen zu müssen, dass er, wie sie es nannte, »in die Mangel genommen wurde«. Was »in die Mangel nehmen« bedeutete, verschwieg sie. Doch aus Mitleid mit ihr dürfte er nie versuchen, das herauszubekommen.)
    Beim Betrachten des einst verbotenen Gefildes fragte sich Aaron, ob es ihm dieser Tage erlaubt sei, die Strecke abzuschreiten und von der Klippe auf den Strand und das Wasser hinunterzublicken. Oder genauer gesagt, er fragte sich, ob er es sich gestatten könnte, unverzagt und nicht begleitet von seiner Großtante, die längst tot war, über das Gras zu marschieren. Wenn sie damals beide Hand in Hand loszogen, konnte nichts Schreckliches passieren. So hatte man es ihm erzählt, und so hatte er es geglaubt. Und dieser Glaube war keineswegs unbegründet gewesen. Oft genug war er mit angstgeweiteten Augen und leichtem Gruseln durch das hohe Gras geführt worden, stets darauf gefasst, ein Rumoren unter den Füßen zu spüren. Dann hatte er auf dem Rand der Klippe sitzen und die nackten Beine über dem Abgrund baumeln lassen dürfen. Tante Molly saß neben ihm, hatte Schuhe und Strümpfe ausgezogen, und beide hatten mit den Zehen gewackelt. Sich so dem Meer darzubieten, war verwegen, war eine Geste der Verhöhnung der finsteren Mächte, die aber durch die Gegenwart seiner Tante in Schach gehalten wurden und durch ihre Hand, die seine fest umschloss.
    Einmal, nach einem Ausflug, der lediglich dadurch bedeutsam war, dass sie gemeinsam einen Apfel verzehrten, während sie auf der Klippe saßen – seine Großtante hatte sich weit größere Happen gegönnt, als er sich traute –, warer darauf gekommen, dass es die geschilderten Gefahren gar nicht gab, dass ihm also Vergnügungen versagt wurden, die er sich eigentlich

Weitere Kostenlose Bücher