Das Schwein war’s: Kriminalroman (German Edition)
jede in Aussicht gestellte Belohnung, sei es in dieser oder der kommenden Welt, von sich weisen würde. So war denn also das Schwein nach nur geringfügiger Ermunterung – einem von Sweeney verabreichten Klapps aufs Hinterteil – die Rampe hinaufgetrappelt, die sich aus einer zufällig im Laderaum des Transporters liegenden Tür hatte improvisieren lassen, und war zum Haus von Kitty McCloud geschafft worden, freilich erst nach einem kurzen Stopp an der Bushaltestelle vor Dockerey’s Pub, in dem Aarons Gepäck auf ihn wartete, wenn auch erleichtert um seinen Walkman und die Kassetten mit Mozart, Bach und Chopins Sonate mit dem Trauermarsch.
Als er am Haus seiner Tante klopfte – ihm war entfallen, dass es selbst in Irland längst Türklingeln gab –, tönte es von drinnen: »Komm schon rein! Ich bin in der Küche, sieht man doch!«
Aaron hatte die Sperre betätigt und gegen die Tür gedrückt. Die gab nicht nach. »Ist abgeschlossen!«, hatte er zurückgeschrien.
»Na klar, ist abgeschlossen. Geh nach hinten ums Haus rum. Ich – na ist egal –, ich komme schon.«
Seine Tante öffnete. Drinnen war es dunkel, und sieselbst stand auch im Dunkeln. »Tante Kitty? Ich bin’s, Aaron. Hab mich verspätet.«
»Verspätet? Ich denke, du kommst erst morgen. Ich bin gerade dabei, die Küche zu tapezieren, damit du nicht immer die ollen Rosen sehen musst; die waren schon dran, als du das letzte Mal hier warst.«
»Oh. Ich habe gedacht, du erwartest mich heute.«
Sweeney war wie angewurzelt zwei Schritte hinter Aaron stehengeblieben. »Wo jetzt hin mit dem Schwein?«
»Du hast mir ein Schwein gebracht?« In Tantes Stimme mischten sich Überraschung, Vorfreude und Entzücken. »Na so was. Das ist wirklich nett. Ist ja was richtig Teures. Ist es tot oder lebendig? Macht nichts, meine Gefriertruhe steht im Keller. Komm rein, komm nur rein. So lange du mir kein trojanisches Pferd bringst.« Sie machte einen Schritt zur Seite, verschwand noch mehr im Dunkeln. Aaron sah ein fahles gelbes Licht, das von der Küche in den Gang fiel, der zum rückwärtigen Teil des Hauses führte. Aber der Lichtschein war zu weit weg, so dass seine Tante wie ein Schatten wirkte, der dunkler war als der Raum hinter ihr.
Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte Aaron, das Problem mit dem Schwein wäre bereits gelöst – zu seinen Gunsten. Er und seine Tante würden Schinken und Speck und Koteletts haben in Hülle und Fülle. Leider hatte er Sweeney die ganze Geschichte bereits erzählt, noch vor der Fahrt hierher, alles, von den entlaufenen Schweinen, der Tour bergauf, der Frau mit dem Halstuch. Sweeney hatte ihm bestätigt, dass er das alles schon wusste. Die Geschichte war längst rum. Er hatte ihm sogar mit einem Kugelschreiber auf einem Kassenbon vom Supermarkt den Namen der Frau aufgeschrieben, die überall im Ort wegen ihres eigenwilligen Lebenswandels bekannt war; hatte sie sich doch in den Kopf gesetzt, Schweine zu züchten, als ganz Irland seine Schweine längst in die Intensivhaltungabgeschoben hatte, das irische Pendant zu den amerikanischen Schweinemastanlagen, und nur noch wenige selbständige Schweinehalter übriggeblieben waren. Ihre Telefonnummer herauszufinden, konnte nicht schwierig sein. Sie würde kommen und das Schwein abholen, aber viel Dankbarkeit sei nicht zu erwarten. Über ihre Vorstellungen von dem, was sich gehört und was nicht, ließe sich streiten. Aaron hatte schon den Mund aufmachen wollen, um sie gegen eine solche Verleumdung zu verteidigen. Die Frau war von so heiterem Gemüt gewesen. Selbst ausgemachtes Pech hatte für sie seine spaßigen Seiten, und das wollte einiges heißen für eine Frau. Er hatte aber geschwiegen. Schließlich war er ein Fremder, ein Ausländer, und niemand hätte es geschätzt, hätte er sich schon an seinem ersten Abend in der Stadt wie ein Neunmalkluger aufgespielt. Er würde Sweeney gewiss wieder begegnen und könnte die Sache später richtigstellen, nachdem ein, zwei Wochen vergangen waren und sich sein Ruf als Weltweiser gefestigt hatte. Bis dahin würde er sich mit Besserwisserei zurückhalten. Außerdem gehörte dem Mann der Pickup, und Aaron war übermüdet. Trotzdem, wenn er seiner Tante das Schwein überließ, würde es Sweeney überall herumerzählen. Die Stadt würde ihn für einen Dieb halten. Die Frau würde auf ihr Eigentumsrecht pochen, und Tante Kitty wäre verärgert.
»Es ist nicht mein Schwein«, bekannte Aaron. »Es gehört Lolly.« Er wandte sich zu Sweeney um.
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