Das Schwert der Keltin
mögen Tacitus andere persönlich von ihren Erinnerungen berichtet haben, vermutlich aber stammt ein Großteil seiner Informationen aus den militärischen Protokollen direkt vom Schlachtfeld. Wie uns die jüngsten Erfahrungen von miteinander im Krieg befindlichen Staaten jedoch lehren, tragen auch Kampfberichte ihre ganz eigene, zuweilen stark akzentuierte Handschrift, die darauf ausgelegt ist, den Angreifenden im bestmöglichen Licht erscheinen zu lassen und die Gegenseite im schlechtesten. Wenn ein General nun berichtet, dass der Feind mit einer Heftigkeit kämpfte, die alles andere, was man bisher erfahren hatte, noch übertraf, kann man selbst heute, im einundzwanzigsten Jahrhundert, guten Gewissens davon ausgehen, dass dies eher eine Entschuldigung für die empfindlichen Verluste auf der Seite dessen ist, der diesen Bericht gerade schreibt. Und höchstwahrscheinlich liegen diesen Verlusten wiederum einige ernsthafte taktische Fehler zugrunde. Es scheint mir daher nur wahrscheinlich, dass die gleichen Unterstellungen auch für einen Bericht zutreffen, der im ersten Jahrhundert nach Christi Geburt für einen Kaiser verfasst wurde, der nicht gerade für seinen Großmut bekannt gewesen war und wo die Bestrafung von Fehlern schlimmere Konsequenzen hatte, als von der feindlich gesinnten Presse ausgepfiffen zu werden.
Selbst ohne die in den Primärquellen enthaltene Voreingenommenheit wäre es zudem naiv zu glauben, dass nicht auch Tacitus dem Bericht noch seine eigene Sichtweise hinzugefügt hätte; und wenn man die Ereignisse an der westlichen Front bedenkt, gesteht selbst Tacitus bereits ein, dass er die Geschehnisse von mehreren Jahren zu einer einzigen kurzen Erzählung zusammengefasst hat, um sie verständlicher zu machen. In Rom gesteht er Caradoc sogar einen in all seiner Kürze geradezu druckreifen Dialog zu, voller Andeutungen für ein Publikum, das noch nicht einmal geboren war. Die Herausforderung für eine Belletristikautorin von heute ist es nun, die alten Schriften nach jenen Kernpunkten zu durchsuchen, die durchaus plausibel erscheinen, und von diesen dann die Motivation für das Handeln all jener abzuleiten, die in die Geschehnisse miteingebunden sind.
In dieser Hinsicht sind andere Autoren sehr erfinderisch. Sueton beispielsweise gibt uns einen Einblick in die Gefühlswelten der verschiedenen Darstellungen Caesars, und ist mit Sicherheit der Verlässlichste von jenen, die ein gewisses Verständnis von Claudius gehabt haben mögen. In den vergangenen Jahren hatte dieser Kaiser von der recht freundlich gesonnenen Rehabilitation profitiert, die von Robert Graves und Derek Jacobi herausgegeben wurde, und die Gaius/Caligulas Nachfolger als einen wohlmeinenden Schwachkopf stilisiert, der lediglich umgeben war von intrigierenden Verrückten. Suetons Bericht ist da weniger liebreizend: Sein Claudius ist ein berechnender Erbsenzähler mit einem deutlichen Hang zum Sadismus gewesen, der wiederum nur durch einen überaus starken Selbsterhaltungsinstinkt ausbalanciert worden war sowie eine sehr gesunde (und gerechtfertigte) Paranoia. Zwar war Claudius nicht von so offensichtlicher Geisteskrankheit befallen wie Caligula, doch dauerte dafür seine Herrschaft auch länger an und unter dieser starben weitaus mehr Untertanen, Sklaven und gefangen genommene Feinde in den Palästen oder dem Zirkus als unter irgendeinem anderen Kaiser vor ihm. Ebenso scheint es Hinweise darauf zu geben, dass Nero trotz all seiner Anmaßungen versucht hatte, den Exzessen des öffentlichen Sadismus, zu denen sein Stiefonkel angestiftet hatte, Einhalt zu gebieten.
Wenn wir Tacitus darin folgen, dass Claudius Caradoc tatsächlich begnadigt hat, bleibt noch immer die Frage bestehen, warum dieser Mann, der den langsamen Tod seiner Feinde so offensichtlich genossen hat, dies getan haben mochte. Es ist möglich, dass Caradoc lediglich diese eine, seelenvolle Ansprache hielt und damit sowohl sein eigenes Leben rettete als auch das seiner Familie, aber es ist nicht sehr wahrscheinlich. Die Antwort liegt nach meinem Gefühl eher in Claudius’ unnachahmlichem Lebenswillen, und folglich musste es irgendeine Bedrohung gegeben haben, real oder erfunden, durch die sich Caradoc schließlich sein Leben zurückerkaufte. Möglicherweise hat diese anders ausgesehen, als ich es beschrieben habe, aber zumindest im Zusammenhang dieser Erzählung ergibt sie einen Sinn.
Darüber hinaus sollte aber ohnehin noch einmal daran erinnert werden, dass all dies
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