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Das Schwert des Liktors

Das Schwert des Liktors

Titel: Das Schwert des Liktors Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gene Wolfe
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zehrende Fieber war ihr das Haar bis auf einige Büschel ausgefallen.
    Ich stützte mich mit der Hand an der Wand aus Lehm und Reisig und richtete mich auf. Der Knabe sagte: »Ihr seht, sie ist sehr krank, Sieur. Meine Schwester.« Wieder hielt er die Hand auf.
    Ich sah sie – sehe sie noch jetzt –, aber sie hinterließ keinen unmittelbaren Eindruck in meinem Verstand. Ich mußte immerzu an die Klaue denken, die mir anscheinend gegen das Brustbein drückte, aber nicht wie ein Gewicht, sondern wie die Knöchel einer unsichtbaren Faust. Mir fiel der Ulan ein, der wie tot gewesen war, bis ich seine Lippen mit der Klaue berührte, was mir aber nun vorkam, als wär’s eine Ewigkeit her; auch fiel mir der Menschenaffe mit seinem Armstumpf ein, und wie Jonas’ Verbrennungen verschwunden waren, als ich sie mit der Klaue bestrichen hatte. Ich hatte sie nicht mehr gebraucht – oder auch nur daran gedacht, sie zu gebrauchen –, seitdem sie bei Jolenta versagt hatte.
    Schon so lange hatte ich dieses Geheimnis gewahrt, daß ich mich nun scheute, es wieder zu probieren. Vielleicht hätte ich sie dem sterbenden Mädchen aufgelegt, wenn sein Bruder nicht zugeschaut hätte; ich hätte damit das kranke Auge des Bruders berührt, hätte der bärbeißige Maurer nicht dabeigestanden. So wie die Dinge lagen, holte ich lediglich tief Luft und schnaufte mühsam ob der Kraft, die mir die Rippen zusammenschnürte, und unternahm nichts. Ohne auf die Richtung zu merken, ging ich davon, den Berg hinab. Ich vernahm, wie hinter mir der Speichel des Maurers aus seinem Mund schoß und auf das ausgetretene Pflaster klatschte; aber was für ein Laut das war, erkannte ich erst, als ich fast schon daheim und wieder mehr oder weniger zu mir gekommen war.

 
Im Turm der Vincula
     
    Es ist Besuch da, Liktor«, eröffnete mir der Posten, und als ich nur bestätigend nickte, fügte er hinzu: »’s wär’ angebracht, sich vorher umzuziehn, Liktor.« Nun brauchte ich nicht mehr zu fragen, wer mein Gast sei, nur der Archon persönlich hätte ihm diesen Ton entlocken können.
    Es war mir ein leichtes, in meine Privatgemächer zu gelangen, ohne durch das Arbeitszimmer zu müssen, worin ich die Geschäfte der Vincula und die Bücher führte. Während ich mich des geliehenen Burnusses entledigte und den rußschwarzen Mantel anlegte, stellte ich Vermutungen darüber an, warum der Archon, der mich noch nie aufgesucht hatte und den ich obendrein selten außerhalb seines Hofes gesehen hatte, es für erforderlich hielte, sich in die Vincula zu begeben – und noch dazu ohne Begleitung, soweit ich das mitbekommen hatte.
    Diese Überlegungen waren mir willkommen, denn sie hielten gewisse andere Gedanken von mir fern. Es gab in unserem Schlafzimmer einen großen, versilberten Glasspiegel, der viel wirksamer war als die kleinen polierten Metallplatten, die ich gewohnt war; und auf diesen hatte Dorcas, wie ich nun erst bemerkte, als ich vor ihn trat, um mein Äußeres zu begutachten, mit Seife vier Zeilen eines Liedes gekritzelt, das sie mir einmal vorgesungen hatte:
     
    Hörner der Urth, die ihr zum Himmel schallt,
    Grün und wonniglich, grün und wonniglich.
    Spielet mir auf; in schön’ren Auen wandle ich.
    Und hebt, o hebt mich zum gefall’nen Wald!
     
    Im Arbeitszimmer gab es mehrere Sessel, und ich hatte mir vorgestellt, den Archon auf einem dieser vorzufinden (obschon mir ebenso in den Sinn gekommen war, er nütze vielleicht die Gelegenheit und sähe sich die Papiere durch, wozu er jedes Recht hätte). Er stand jedoch in der Fensterlaibung und blickte auf die Stadt hinab, wie auch ich an diesem Nachmittag von den Zinnen der Burg Acies Ausschau gehalten hatte. Die Hände hatte er am Rücken verschränkt, und eine jede davon bewegte sich, während ich ihn betrachtete, als bärge sie eigenes, durch seine Gedanken gezeugtes Leben. Erst nach einer Weile drehte er sich um und erblickte mich.
    »Du bist da, Foltermeister. Ich habe dich nicht kommen gehört.«
    »Ich bin nur Geselle, Archon.«
    Lächelnd setzte er sich, mir zugekehrt, auf den Sims. Seine Züge waren rauh, seine Nase gebogen und seine großen Augen von dunklen fleischigen Wülsten umrahmt, doch wirkte sein Gesicht nicht männlich; es hätte beinahe zu einer häßlichen Frau gehören können. »Von mir mit der Führung dieser Anstalt betraut, bleibst du dennoch bloß Geselle?«
    »Ich kann nur durch die Meister meiner Zunft erhoben werden, Archon.«
    »Aber du bist der beste ihrer Gesellen in

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