Spiel um Macht und Liebe (German Edition)
1. KAPITEL
„So so. Mein kleiner schlauer Bruder hat also geschafft, was unserem verstorbenen Vater nicht gelungen ist. Du hast die Amerikaner dazu gebracht, uns die Kontrolle über die Herstellung unserer Medikamente zu überlassen. Und wie hast du das bewerkstelligt? Mit denselben Mitteln, mit denen du unseren Vater dazu gebracht hast, sein Testament zu deinen Gunsten zu ändern?“
Neben dem verächtlichen Spott hörte Leo aus Wilhelms Stimme auch die Verbitterung des älteren Bruders heraus.
Es hatte für Leo keinen Sinn, Wilhelm daran zu erinnern, dass er selbst mindestens genauso verblüfft gewesen war, als er erfuhr, dass ihr Vater ihm allein die gesamte Kontrolle über den Arzneikonzern der Hesslers übertragen hatte. Alle hatten damit gerechnet, dass Wilhelm der Alleinerbe würde.
Leo lockerte den Griff, mit dem er den Telefonhörer festhielt. Er war früh am Morgen aus New York in Hamburg angekommen und direkt vom Flugplatz zu den Büros von „Hessler-Chemie“ gefahren, um dem Vorstand einen kurzen Bericht zu geben. Dieses Treffen war von Leos Assistent organisiert worden.
Zwar war Wilhelm bei dem Treffen nicht erschienen, doch offenbar hatte ihm jemand von den Neuigkeiten berichtet.
Leo wusste, dass es sein gutes Recht war, auf seine Ergebnisse aus New York stolz zu sein. Mit demselben Recht konnte er sich über Wilhelms Verhalten ärgern. Bevor er vom Büro nach Hause gefahren war, hatte er seinem Assistenten gesagt, dass er nicht gestört zu werden wünsche, egal von wem.
Folglich kam ihm Wilhelms Anruf ungelegen.
„Vater kann nicht bei Verstand gewesen sein, als er dieses Testament aufgesetzt hat“, regte Wilhelm sich jetzt auf. „Ich war derjenige, der nach seinem Willen die Leitung übernehmen sollte. Das hat er immer gesagt. Ich kam doch bei ihm an erster Stelle.“
Leo biss die Zähne zusammen und ließ Wilhelm seine Bosheiten ungehindert ausstoßen.
An erster Stelle. Wie oft hatte er während seiner Jugend diese Worte von seinem Bruder gehört? fragte Leo sich, als Wilhelm endlich aufgelegt hatte. Wie oft hatte er schmerzlich unter der Kritik und Ablehnung seines Vaters gelitten, bis er schließlich erkannt hatte, dass er seiner eigenen Sicht des Lebens nachgehen musste? Es gab andere Welten und Werte als die, die sein Vater stets verfolgte.
Erschöpft blickte er auf das Telefon. Wilhelm und er waren nie gut miteinander ausgekommen. Es hatte immer Rivalität und Ablehnung zwischen ihnen gegeben. Und manchmal war es Leo sogar so vorgekommen, als habe ihr Vater diese Rivalität noch absichtlich gefördert. Wilhelm war über alle Maßen besitzergreifend. Vielleicht lag das daran, dass er das älteste Kind gewesen und davon ausgegangen war, immer das einzige zu bleiben.
Immerhin lagen vierzehn Jahre zwischen ihnen, und so war Wilhelm den Großteil seiner Kindheit ein Einzelkind gewesen. Und während er aufwuchs, hatte Leo nie daran gezweifelt, wer von ihnen beiden Vaters Liebling war.
Schwächling hatte sein Vater ihn einmal als Junge genannt, obwohl Leo heute mit seinen einsfünfundachtzig schwerlich als schwach bezeichnet werden konnte. Der Ton seiner bernsteinfarbenen Augen passte zu dem Goldbraun seines dichten Haars. Eine seiner Geliebten hatte ihn einmal mit einem Löwen verglichen. Sie hatte gesagt, er strahle dieselbe goldene Geschmeidigkeit aus, aber, hatte sie lachend hinzugefügt, nicht das raubtierhafte Verlangen zu jagen und zu töten.
Körperlich schlägt bei mir die mütterliche Seite durch, stellte Leo fest. Und er hoffte inständig, dass das auch für seine seelische und geistige Seite galt. Er wollte nichts von den Veranlagungen seines Vaters erben. Aber galt das auch für das materielle Erbe?
Unbehaglich ging er zum Fenster und blickte auf den Fluss. Das Bürogebäude lag in einer ruhigen, wohlhabenden Gegend von Hamburg, und das eher kleine Haus wurde von den hohen Nachbargebäuden förmlich zerdrückt. Es war ein altes Haus mit quietschenden Dielen und seltsam verwinkelten Räumen.
Wilhelm hatte versucht, das Testament ihres Vaters anzufechten, mit der Begründung, dass er es nur in dieser Form aufgesetzt haben konnte, wenn er entweder geistig umnachtet oder von Leounter Druck gesetzt worden war.
Die Firmenanwälte hatten Wilhelm gewarnt, dass er den Fall vor Gericht nur verlieren konnte, zumal ihr Vater bis zu jenem tödlichen Herzinfarkt im Vollbesitz seiner geistigen Gesundheit und der Macht über den Hesslerkonzern gewesen war.
Natürlich kam noch
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