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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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das vor, was immer dann vorging, wenn er wußte, was jetzt kam. In Bunsens Gesicht, dem die Natur die Züge eines Drachentöters gegeben hatte oder eines gewappneten Erzengels, entstand, indem sich die Nasenflügel ein wenig blähten, die Mundwinkel ein wenig zuckten, die furchtbarste Verheerung.
     
    Es kam aber jetzt zu gar nichts.
     
    Von der Lagereinfahrt her wurden die Kriminalkommissare Overkamp und Fischer zur Kommandantenbaracke geleitet. Sie blieben beide stehen bei der Gruppe Bunsen-Fahrenberg-Zillich, sahen, was los war, sagten rasch was einer zum andern. Dann sagte Overkamp, ohne jemand ausdrücklich anzusprechen, mit ganz leiser Stimme, die aber vor Wut gepreßt klang und vor Anstrengung, diese Wut zu beherrschen: »Das soll die Einlieferung vorstellen? Gratuliere. Da könnt ihr schleunigst ein paar Spezialärzte herbeitrommeln, daß sie dem Mann da seine paar Nieren und Hoden und Ohren zusammenflicken, damit er uns noch mal vernehmungsfähig wird! Schlau, schlau, gratuliere.«
     
     
     

5
     
    Jetzt war der Nebel so hoch gestiegen, daß er als niedriger flockiger Himmel über den Dächern und Bäumen stand. Und die Sonne hing matt und blieb wie eine Lampe in Mullvorhängen über der huppligen Dorfgasse von Westhof en. Wenn bloß der Nebel nicht gleich steigt, dachten die einen, daß uns die Sonne nicht noch was versticht kurz vor der Lese. Wenn nur der Nebel rasch steigen wollte, dachten die andern, daß wir noch das fehlende Stichelchen abkriegen.
     
    Solche Sorgen hatten in Westhofen selbst nicht viele. Sie waren kein Weindorf, sie waren ein Gurkendorf. – Etwas abseits an dem Weg, der von der Liebacher Au zur Landstraße führte, lag die Essigfabrik Frank. Hinter dem breiten, sauber ausgestochenen Graben lagen die Felder bis zum Fabrikweg. Weinessig und Senfe, Matthias Frank Söhne. Dieses Schild hatte ihm Wallau eingeprägt. Wenn Georg aus den Binsen heraus war, mußte er drei Meter ungedeckt weiterkriechen, dann im Graben, und zwar am linken Winkelarm längs der Felder.
     
    Als er den Kopf aus den Binsen herausstreckte, stand der Nebel so hoch, daß er die Baumgruppe freigab hinter der Essigfabrik, und da Georg die Sonne im Rücken hatte, schien die Baumgruppe von selbst aufzuflammen in einem eignen jähen Feuer. Wie lange war er schon gekrochen? Sein Zeug glitschte mit der Erde zusammen. Könnte er einfach liegenbleiben, niemand würde ihn finden. Keine andre Unruhe würde um ihn entstehen als ein bißchen Krächzen und Flattern. Ein paar Wochen Geduld, dann deckt eine Kruste gefrorenen Schnees mühelos, was übrigbleibt. Siehst du, Wallau, wie einfach das ist, deinen tüfteligen Plan kaputtzumachen? Wallau hatte ja nicht geahnt, wie schwer sein Körper war, den er jetzt nachziehen mußte, die Ellenbogen gestemmt auf das ungedeckte Stück. Als ob er den ganzen Sumpf mitschleifte. Es pfiff von der Liebacher Au her. Es pfiff zurück, so erschreckend nah, daß Georg in die Erde biß. Krabbel! hatte ihm Wallau geraten, der ja den Krieg erlebt hatte und die Ruhrkämpfe und die Kämpfe in Mitteldeutschland und überhaupt alles, was zu erleben war. Daß du immer weiterkrabbelst, Georg. Nur nicht glaubst, daß du entdeckt bist. Viele sind erst dadurch entdeckt worden, daß sie sich eingebildet haben, sie wären’s schon, und dann irgendeinen Unsinn machten.
     
    Georg sah zwischen den welken Stauden über den Grabenrand. So nah stand der Posten – wo der Weg über dem Gurkenfeld in die Landstraße mündete –, so bestürzend nah, daß Georg gar nicht erschrak, sondern in Wut geriet. So greifbar nah stand er da auf seinen zwei Beinen gegen die Ziegelmauer, daß es die größte Qual war sich zu verstecken, anstatt gegen ihn anzuspringen. Langsam ging der Posten den Weg ab, an der Fabrik vorbei zur Liebacher Au – in seinem Rücken, in der grauen und braunen Unendlichkeit zwei glühende Augenpunkte. Georg dachte, der Posten müßte sich umdrehn nach dem mühlenartigen Geklapper, das sein Herz jetzt machte, wo es doch selbst in der Todesangst noch viel stiller schlug als ein Vogelflügel. Georg rutschte im Graben weiter, fast bis zur Wegstelle, wo der Posten noch eben gestanden hatte. Wallau hatte ihm noch erklärt, daß dort der Graben unter dem Weg durchführte. Ob und wie der Graben dann weiterlief, das hatte Wallau selbst nicht gewußt. An dieser Stelle hatte auch seine Voraussicht aufgehört. Georg kam sich erst jetzt vollkommen verlassen vor. Ruhig – nur noch das Wort blieb ihm im Ohr, der

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