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Das siebte Kreuz

Das siebte Kreuz

Titel: Das siebte Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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Treppe hatte sie sich gefragt, ob sie ihm nicht doch noch sagen sollte, daß sie wohl ahne, was mit ihm sei. Wozu? Es wird ihn nur unruhig machen.
     
    Sie spülte seine Tasse aus. Die Küchentür öffnete sich; eine alte, in eine Bettdecke gewickelte Frau mit einem grauen Zöpfchen erschien auf der Schwelle. Sie schimpfte unglaublich rasch: »Du dumme Marie, den siehst du nie wieder, das schwör ich dir. Hast du dir was Feines aufgelesen, sag mal bist du ganz irr, hast ihn noch nicht gekannt, wo du weg bist heut nachmittag, oder doch? Wie? Hast du die Zunge verschluckt?«
     
    Die Junge drehte sich langsam vom Spülstein weg; ihr leuchtender Blick traf die alte Frau, die sich knurrend duckte. Sie sah ganz in Gedanken herunter mit einem ruhigen, stolzen Lächeln. Ihr Augenblick war gekommen. Aber sie hatte keine Zeugen als diese alte, vor Frost und Ärger bibbernde Frau, die sich schnell zurückzog in ihr warmes Bett.
     
    Wenn ich Bellonis Mantel nicht hätte! dachte Georg, der mit gesenktem Kopf den Schienen nachging. Sein Gesicht strich ein harter Regen. Endlich traten die Häuser zurück. Der Regen hing in Strängen vor der Stadt auf dem anderen Ufer. Sie schien bar aller Wirklichkeit vor dem unermeßlichen trüben Himmel. Eine von jenen Städten, die man im Schlaf erfindet, für die Dauer eines Traumes, und selbst so lange wird sie nicht halten. Aber sie hatte schon zweitausend Jahre ausgehalten.
     
    Georg kam auf den Kasteier Brückenkopf. Der Posten rief ihn an. Georg zeigte seinen Paß. Als er schon auf der Brücke war, wurde ihm klar, daß sein Herz nicht schneller geklopft hatte. Er hätte noch zehn Brückenköpfe ruhig passieren können. Man kann sich also auch daran gewöhnen. Er fühlte sein Herz jetzt gefeit gegen Furcht und Gefahren, aber vielleicht auch gegen das Glück. Er ging etwas langsamer, um keine Minute zu früh anzukommen. Wie er aufs Wasser hinuntersah, erblickte er den Schleppkahn, die Wilhelmine, mit ihrem grünen Ladestreifen, der sich im Wasser spiegelte, ganz nahe beim Brückenkopf, aber leider nicht gleich am Ufer, sondern neben einem anderen Kahn. Georg sorgte sich weniger um den Posten am Mainzer Brückenkopf als darum, wie man über das fremde Schiff weggelangen sollte. Er sorgte sich umsonst. Er war noch nicht zwanzig Schritte entfernt von der Anlegestelle, da tauchte an Bord der Wilhelmine der Kugelkopf eines kleinen, fast halslosen Mannes auf, ein rundes Gesicht, das ihn offensichtlich erwartete, ein etwas fettes Gesicht mit runden Nasenlöchern, mit vergrabenen Äuglein, ein Gesicht, hinter dem man gar nichts Gutes vermutete, eben darum für diese Zeit das rechte Gesicht für einen aufrechten Mann, der allerlei riskierte.
     
     
     
    Montag abend sind dann die sieben Bäume in Westhofen abgeschlagen worden. Dort war alles sehr schnell gegangen. Der neue Kommandant war im Amt, ehe man den Wechsel erfahren hatte. Er war wohl der richtige Mann, um ein Lager in Ordnung zu bringen, in dem sich solche Sachen ereignet hatten. Er brüllte nicht, sondern sprach mit gewöhnlicher Stimme. Aber er ließ uns nicht im Zweifel, daß man uns alle bei dem geringsten Zwischenfall zusammenknallen würde. Die Kreuze hat er gleich abschlagen lassen, denn sie waren sein Stil nicht. Fahrenberg soll schon am Montag nach Mainz gefahren sein. Er soll sich im Fürstenberger Hof einquartiert haben. Das ist nur ein Gerücht. Es paßt auch nicht recht zu Fahrenberg.
     
     
     
    Vielleicht hat sich in jener Nacht im Fürstenberger Hof ein anderer eine Kugel in den Kopf geschossen, wegen Schulden oder wegen Liebeskummer. Vielleicht ist Fahrenberg die Treppe heraufgefallen und hat noch mehr Macht bekommen.
     
    Das alles wußten wir damals noch nicht. Später waren so viele Dinge passiert, daß man nichts mehr genau erfahren konnte. Wir hatten zwar geglaubt, mehr könnte man nicht erleben, als wir erlebt hatten. Draußen stellte es sich heraus, wieviel es noch zu erleben gab.
     
    Doch an dem Abend, als man zum erstenmal die Häftlingsbaracken einheizte und das Kleinholz verbrannt war, das, wie wir glaubten, von den sieben Bäumen kam, fühlten wir uns dem Leben näher als jemals später und auch viel näher als alle anderen, die sich lebendig vorkommen.
     
    Der SA-Posten hatte schon aufgehört, sich über den Regen zu wundern. Er drehte sich plötzlich um, um uns bei etwas Verbotenem zu überraschen. Er brüllte los und verteilte gleich ein paar Strafen. Wir lagen zehn Minuten später auf unseren

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