Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
adenz,
Desuz lui met s’espee e l’olifan
Turnat sa teste vers la paiene gent;
Roland fühlt, dass der Tod ihn übermannt,
Vom Kopf herab steigt er nieder zum Herzen.
Unter eine Fichte ist er geeilt
Und hat sich mit dem Gesicht zur Erde auf das grüne
Gras gelegt;
Unter sich legt er sein Schwert und den Olifant
Und wendet seinen Kopf dem heidnischen Kriegsvolk zu.
Juliana fühlte ein Stechen in ihrer Brust. Würde auch sie hier enden? Zwischen den grünen Hügeln der Pyrenäen sterben, den Blick nach Hispanien gerichtet, das sie nie betreten sollte? Ohne Grab, ohne Gebet und ohne ein Kreuz über ihren kalten Gliedern? Sie dachte an ihre Mutter daheim auf Burg Ehrenberg und an den Dekan in seinem prächtigen Haus gegenüber der Stiftskirche von St. Peter. Würde sie die, die sie liebte, in diesem Leben wieder sehen? Tränen brannten hinter ihren Lidern.
»Nun aber Schluss mit diesen trüben Gedanken!«, sagte Juliana barsch zu sich selbst. »Das kommt davon, wenn man sich zu sehr mit Krieg und Tod beschäftigt.«
Sie richtete den Blick wieder auf die Landschaft, die sie umgab. War der Weg wieder flacher geworden? Narrten sie ihre Sinne? Oder wurde der Nebel nur noch dichter?
Juliana fühlte die Schwäche in ihren Beinen. Ihr Magen wimmerte und verkrampfte sich. Sie zog den Rucksack von den Schultern und kaute während des Gehens an einem Kanten Brot und an einem noch nicht ganz reifen Apfel, doch sie spürte ihren Hunger danach nur noch stärker. Sollte sie auch das letzte
Stück Speck essen, das die Benediktinerinnen ihr vor zwei Tagen mitgegeben hatten? Es war ihre letzte Reserve, vielleicht die Rettung, wenn sie sich verlief. Oder hatte sie sich längst verirrt? Ihre durchweichten Schuhe sanken im Gras ein. Es gab kein Oben und Unten mehr – nur Gras und Grau nach allen Seiten. Düster war es und kalt. War der Tag bereits vorüber? Begann die Nacht hereinzubrechen? Der eisige Wind frischte wieder auf und zerrte an Julianas triefendem Mantel. Hier jedenfalls konnte sie die Nacht nicht verbringen. Sie musste irgendwo Schutz suchen, tiefer unten am Hang, unter einem Baum oder hinter einem Felsen.
Juliana ging weiter, immer weiter. Längst war der Speck gegessen, aber ihr Bauch rief nach mehr, die Beine verlangten nach Ruhe und ihr ganzer Leib nach Wärme. Sie durfte nicht stehen bleiben! Wenn sie einmal stehen blieb, dann würde sie sich hinsetzen, und das wäre ihr Tod. Wieder hatte sie einen Hügel hinter sich gelassen, wieder drehte sie sich suchend im Kreis, doch der Zweifel, ob sie sich noch auf dem rechten Weg befand, blieb. Nun ging es zwischen Fels und dornigem Gestrüpp abwärts, erst flach, dann immer steiler. Die ersten Bäume schieden sich vom Nebel. Wieder Buchen. Ein toter Baumriese versperrte ihr den Weg, der Stamm von einem Blitz gespalten und verkohlt. Raben krächzten irgendwo in den Wolken verborgen.
Konnte das der Abstieg nach Roncesuailles 2 sein, oder war sie einen Bogen gelaufen und schritt nun wieder nach Norden? Juliana wusste es nicht. Die Panik wich tiefer Erschöpfung. Immer häufiger stolperte sie über einen Steinbrocken oder glitt im Schlamm aus. Ein paar Mal fiel sie auf die Knie, doch für Tränen war sie bereits zu müde. Ihre Lage zu beweinen blieb Zeit, wenn sie ihr Ziel erreicht hatte – oder wenn Gott sie zu sich rief.
Bald war es nicht mehr zu leugnen, der Tag verlor sich an die Nacht, und sie hätte längst schon angekommen sein müssen –
wenn der Schmied die Wahrheit gesagt hatte. Und warum sollte er lügen?
Wieder verloren ihre Ledersohlen den Halt. Ihr Hut flog davon, und sie schlitterte gegen einen Buchenstamm. Ihre Hand umklammerte einen Ast, ihre Stirn sank auf die aufgeweichte Rinde. Es war hoffnungslos! Sie hatte den Weg verloren, und sie spürte, dass ihre Kraft nicht ausreichen würde zurückzugehen und den Pfad zu suchen. Juliana fiel auf die Knie und schloss die Augen. Zusammengesunken kauerte sie unter der alten Buche im Schlamm, ohne sich zu rühren. Das war also das Ende. Sie konnte Glocken hören. Dann hatte Gott ihr verziehen? Wie lange würde sie im Fegefeuer büßen müssen, bis sie seine Herrlichkeit schauen durfte? Auf die Heilige Jungfrau war sie gespannt. Sicher hatte sie für Juliana um Vergebung gebeten.
Das Geläut wurde lauter, dann verebbte es wieder, und sie konnte noch ein anderes Geräusch hören. War das etwa das Klappern ihrer eigenen Zähne? Sie fror schrecklich, der Hunger nagte in ihr, und in ihrem Knie pochte der
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