Das Siegel des Templers: Roman (German Edition)
nicht weit. Der Pfad ist nicht zu verfehlen. Aber wenn du dich allein nicht traust, dann schicke ich dir Remiro mit. Ich werde so lange die Glocke läuten.«
Kopfschüttelnd verließ er die Kammer. Juliana wischte sich mit dem Ärmel die Tränen ab und schnäuzte sich in den Saum
des Mantels. Wie konnte sie sich nur so gehen lassen? Was sollte der freundliche Frater von ihr denken?
Draußen schwieg die Glocke. Nun war nur noch das Knistern der Flammen zu hören und der leise Seufzer, mit dem ein Scheit zu Asche zerfiel. Dann kam der Bruder zurück, in seinem Schatten ein kaum zehnjähriger Knabe. Der Junge lächelte Juliana an und zeigte dabei seine schiefen Zähne.
»Vamos. El monasterio no está lejos. Sólo un rato.«
Trotz der Kälte trug er nur einen knielangen Kittel. Seine nackten Füße waren von Schlamm bedeckt. »¡Venga, venga!«
Juliana reimte sich zusammen, was der Junge zu ihr sagte, vor allem da er seine Aufforderung mit einer drängenden Handbewegung unterstrich. Das Mädchen verabschiedete sich von Frater Martín, nahm Stab, Tasche und Rucksack und folgte dem Knaben in die Nacht. Fröhlich pfeifend lief Remiro vor ihr den Waldpfad herab. Juliana humpelte hinter ihm her, so schnell sie nur konnte.
Der Laienmönch hatte nicht zu viel versprochen. Zum Kloster war es nicht mehr weit. Kaum waren sie an einem Bacheinschnitt entlang den Hang hinuntergestiegen, als der Grund eben wurde und sie warmes Licht im Nebel erahnen konnten. Remiro verabschiedete sich von ihr, noch ehe sie das Tor durchschritten hatten, und verschwand im Laufschritt in der Dunkelheit.
Ein Laienbruder, der wie Frater Martín den Augustinerherren von Roncesuailles diente, öffnete Juliana das Tor und führte sie durch einen Hof, vorbei an der Kirche zum Pilgerspital. Dort übergab er sie der Fürsorge des Herbergsbruders und des Paters Infirmarius, der ihr Knie ausführlich betastete. Sein Gehilfe Enneco wusch die Wunde aus und bedeckte sie – unter dem strengen Blick des Infirmarius – mit einer Paste aus zerstoßenen Kräutern. Dann wickelte er den Verband wieder fest um das verwundete Knie. Schweigend zog sich der Augustinerherr im schwarzen Habit in den Klausurbereich des Klosters zurück, während sein Gehilfe den jungen Pilger in den Schlafsaal
führte. Er plapperte unentwegt, doch Juliana war zu erschöpft, um die Bedeutung der französischen Worte, die er mit unverständlichem Baskisch mischte, zu begreifen. So nickte sie nur ab und zu und stieß ein paar zustimmende Laute aus. Vor einem Bett, ganz hinten an der Wand, blieb er stehen und sah das Mädchen fragend an.
»Was hast du gesagt? Ich habe dich nicht verstanden«, stotterte sie, da er offensichtlich eine Antwort erwartete.
»¿Hambre?«, sagte er langsam und führte die Hand zum Mund. »¿Comer?«
Juliana schüttelte den Kopf. »Nur noch müde – dormir!«
Der Bursche grinste sie an, nickte und ließ sie allein. Im schwachen Licht einer Kerze, die in einem Halter an der Wand befestigt war, befreite sich Juliana von ihrem nassen Mantel, den Schuhen, Beinlingen und dem Kittel und rutschte in ihrem feuchten Hemd unter die Decke. Die Geräusche, die von den anderen Lagern zu ihr herüberdrangen, sagten ihr, dass sie nicht allein im Saal war. Das Stroh der Matratzen knisterte. Es roch gut, nicht so modrig wie in vielen anderen Spitälern, in denen sie auf ihrer Wanderschaft schon genächtigt hatte. Ein Mann auf der anderen Seite des Raumes begann zu schnarchen, ein anderer sprach im Traum unverständliche Worte. Das Mädchen schloss die Augen und fiel in tiefen Schlaf. Erst in den Morgenstunden, als Körper und Geist sich erholt hatten, kamen die Träume wieder, die sie seit jenem verhängnisvollen Tag quälten.
2
Die Nacht des Mordes
Wimpfen im Jahre des Herrn 1307
V ater ist in die Pfalz gegangen.« Juliana lächelt zu dem Mann in seinem prächtig bestickten Gewand hoch. »Sollen wir ihn suchen?« Sie springt auf und lässt ihre Stickarbeit achtlos auf die gepolsterte Bank in der Fensternische fallen, auf der sie seit dem Mittagsmahl gesessen hat. Es drängt sie, zur Tür zu eilen und die Treppe hinunterzulaufen, doch die Ermahnungen der Mutter klingen ihr noch in den Ohren. Also ordnet sie die Falten ihres Surkots und streicht die neuen, grünen Ärmel glatt. Sie wirft die blonden Zöpfe auf den Rücken, dass das Licht in den Metallplättchen ihres Schapels blitzt.
Gerold von Hauenstein verbeugt sich und reicht ihr die Hand. »Edles Fräulein,
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