Engelspakt: Thriller (German Edition)
Prolog
Sie rang nach Luft, atmete Blut. Der ganze Krankenwagen schien in Blut zu schwimmen. In Panik glitt ihr Blick über die medizinischen Apparaturen und die getönten Scheiben. Himmelherrgott, wieso bekam sie keine Luft? Wieso konnte sie sich nicht bewegen?
Das Baby!
Sie würde das Baby verlieren! Bitte nicht noch einmal!
Wie in Zeitlupe rotierten Lichter über ihr. Aus weiter Ferne hörte sie eine Sirene.
Der Unfall, der Lastwagen mit dem Anhänger …
Wie war es zu dieser irrwitzigen Kollision gekommen? Die Straße war völlig menschenleer gewesen. Keine Menschenseele, kein Auto, erst recht kein Lastwagen weit und breit.
Wie aus dem Nichts waren plötzlich die Scheinwerfer des schlingernden Monsters mit Anhänger vor ihr aufgetaucht. Sie bremste sofort, doch ihr Mini Cooper reagierte nicht, schoss weiter auf diesen riesigen Koloss aus Stahl und Blech zu. Sekundenschnell – und trotzdem wie in Zeitlupe.
Ihre Schläfen hämmerten. In ihren Ohren rauschte das Blut. Blut … Gleich würde sie nichts weiter als das sein, ein von Metall zerquetschter, lebloser Haufen Fleisch und Blut.
Unerwartet vernahm sie eine innere Stimme. Sie hatte diese Stimme noch nie zuvor gehört. Ein völlig irrsinniger Befehl! Dennoch zögerte sie nicht, riss das Steuer herum und streifte mit dem Heck die gewaltige Zugmaschine. Blech kreischte, Funken sprühten. Sie wollte schreien, doch kein Ton kam über ihre Lippen. Das riesige Gefährt schleuderte den Mini Cooper in einem solch hohen Bogen von der Straße auf den nahe gelegenen Acker, dass der Wagen sich etliche Male überschlug, wie ein Würfel auf einem Spieltisch.
Von diesem Moment an war die Erinnerung abgerissen, bis sie im Krankenwagen erwacht war. Da war auch der Schrecken wieder zurückgekehrt.
Ihr Körper krümmte sich zusammen. Sie wurde auf der Liege festgeschnallt. Sie hatte nach der künstlichen Befruchtung schon ein Kind verloren, ein Mädchen, und nun betete sie inständig, dass sie nicht auch noch den Jungen verlor. Alan und sie hatten sogar schon einen Namen gewählt: David.
Der Rettungswagen schoss durch die Einfahrt der Klinik und hielt mit einem scharfen Bremsmanöver. Die Hecktüren wurden aufgerissen, und jemand schob ihre Liege rasend schnell durch einen grauen Flur. Die Deckenlichter zogen wie Geistererscheinungen an ihr vorbei. Irgendjemand sagte etwas von einem abrupten Abfall der Herzfrequenz des Babys. Dann tauchte ein Mann mit einer Maske vor Mund und Nase über ihr auf.
»Sarah? Sarah!«
Sie war sich nicht sicher, ob sie die Stimme wirklich hörte oder ob sie sie nur hören wollte. Eine Nadel tauchte in ihrem Blickfeld auf, kurz darauf spürte sie einen Einstich ein Stück unterhalb der Armbeuge. Ein Zugang wurde gelegt, über den man ihr bestimmte Stoffe injizieren würde. Mehrere Apparate wurden herangerollt. Auf einem Bildschirm leuchteten plötzlich grüne Linien und Zahlen auf.
Schwach fragte sie: »Was ist mit meinem Kind? Werde ich mein Kind behalten?«
»Alles wird gut«, sagte der Mann mit der Maske und nahm behutsam ihre Hand.
Doch irgendetwas tief in ihrem Inneren – ihr ungeborenes Kind? – misstraute der Sanftheit der Männerstimme und wich davor zurück. Der Eindruck war so intensiv, dass sie etwas erwidern, ja sich wehren wollte, aber sie konnte nicht. Trotz all der zielstrebigen Bewegung um sie herum, schien die Welt auf einmal stillzustehen, als wolle sie aufhören zu existieren. Dunkelheit breitete sich aus, wie schwarzer, zäher Teer, vernichtete den letzten Funken Licht in ihr.
Trotzdem spürte sie noch immer das Misstrauen des Jungen.
Er warnte sie!
Zwölf Jahre später
Londons Straßen glänzten wie Spiegel. Es nieselte schon den ganzen Tag, ein feiner, dichter Regen, der wie ein Nebelschleier in der Luft hing. Doch das Wetter interessierte Professor Alan Scrimgeour nicht. Kaum dass er den Anruf erhalten hatte, war er mit der U-Bahn vom Britischen Museum zur St. Paul’s gefahren und eilte nun in fiebriger Erwartung die breite Freitreppe der Kathedrale hinauf.
Als er den gewaltigen und wunderschönen Innenraum der Kathedrale betrat, ließ er diesen für einen Augenblick auf sich wirken. Er war Katholik, allerdings hatte das seiner Bewunderung für die anglikanischen Kirchen oder andere Gotteshäuser nie einen Abbruch getan. Durch das Mittelschiff, vorbei an mächtigen Bögen und Säulen, ging er auf den Raum unter der Hauptkuppel zu. Die St.-Paul’s-Kirche war häufig Schauplatz von Staatsfeierlichkeiten.
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