Das singende Kind
nicht das Schlechteste.«
»Ich will heute abend noch arbeiten«, sagte Georg und fing an, den Tisch zu wischen.
Jos stand auf. »Ich gehe schon.«
»Laß das Auto lieber stehen.«
»An was träumt Trudi jetzt?« fragte Jos.
Georg zuckte die Achseln.
»Hoffentlich wird sie endlich schwanger, sagte Jos.
»Das wäre schön«, sagte Georg.
Käthe Dux hatte kleine Hände, die hastig zuschnappen konnten und an die Schnäbel hungriger Vögel denken ließen. Dem Klavier entlockten die Hände knappe Töne, die nicht zu Trudis trägem Alt gehörten, der leicht ins Schleppen kam. Dann klappten die Hände das Klavier zu, klopften auf das lackierte Holz des Deckels und gaben einen kurzen, harten Takt vor, an den sich nur Trudis Herz hielt. Käthe Dux zerrte mit den kleinen Händen an der Gardine und blieb mit ihrem Granatring im Garn der Bordüre hängen. Sie riß sich zu ungeduldig los, und der Faden, den sie dabei aus dem Tüll zog, vergrößerte noch ihren Ärger auf Trudi, die auf der anderen Straßenseite stand und zum Fenster hochschaute. Es war Donnerstag, und der Donnerstag war Trudis Tag gewesen.
Wegscheuchen, dachte die Dux. Wie die Tauben auf dem Sims, die sie hatte wegscheuchen wollen und dann sitzen ließ, weil sie Trudi sah. Die Gardine lag schnell wieder in dichten Kräuseln. Ein Schleier zwischen der Dux und Trudi, deren Traurigkeit über die Straße zu spüren war. Käthe Dux hatte keine Lust, sich ihr zu stellen. Schlimm genug, daß sie auf die Schecks verzichten mußte.
Zwei Uhr. Trudi stand seit zwanzig Minuten da. Die Dux wußte nur von zwölf. Sie hatte den Wecker auf dem Klavier im Blick, wie sie Trudi im Blick behielt und erst aus den Augen ließ, als es klingelte. Käthe Dux ging, um den Knopf zu drücken, der die Haustür öffnete. Der neue Schüler würde eine Weile brauchen, bis er alle Stockwerke erstiegen hatte. Die Dux kehrte zu ihrem Ausguck hinter den Gardinen zurück. Doch Trudi war gegangen.
Die Dux lebte in verkehrsgünstiger Lage. Trudi hatte nur ein paar Schritte zur U-Bahn. Sie löste das Ticket, trödelte die Treppe hinunter und nahm Männer in Augenschein. Ein Tag, der spärliche Bärte zu bringen schien, durch die dicke Backen und eine milchige Haut schimmerten. Die Bahn donnerte heran, und Trudi stieg ein. Er kam in letzter Sekunde, sprang in die Tür, die sich schon schließen wollte, und setzte sich ihr gegenüber. Er sah aus, als säße er sonst nur in großen Limousinen.
Zweite Hälfte Zwanzig. Höchstens. Trudi war zweiunddreißig, und so gewohnt, an Georgs Seite das Kind zu sein, daß sie eine viel zu junge Vorstellung von sich hatte. Doch es war ihr kaum je in den Sinn gekommen, an einem Jüngeren Gefallen zu finden. Dieser Junge gönnte ihr gerade die Strecke zur nächsten Station, um neugierig zu werden. Sie hatte sich noch gar nicht zu seinem Gesicht vorgearbeitet, nur den langen Körper wahrgenommen, die schmalen Hände, die schwarzen Ärmelbündchen des Pullovers, das Pepitajackett. Da stand er schon auf und taxierte sie nur kurz und eher kalt.
Trotzdem. Irgendein Traumbild hatte Trudi in Trance gelullt, eine Erinnerung an die schönen jungen Männer in den Zeitungen, denen sie als Sechzehnjährige verfallen war, und sie lief ihm nach. Die Treppen hoch. Zur Station hinaus. In eine Straße hinein. Sie gingen schon ein Stück nebeneinander, da blieb er vor einer der zweistöckigen Villen stehen, schob das niedrige Tor zum Vorgarten auf und zog sie hinter sich her, und sie folgte gerne.
Trudi kam erst zu Verstand, als sie sich unter dem Flügel fand, auf dem er eine Fugette von Bach gespielt hatte. Doch nun drückte er sie auf das harte Parkett und hielt einen der Stöckelschuhe in der Hand, über die Trudi beim Hereinkommen gestolpert war. Er hob den Schuh und stieß den spitzen Stift des Absatzes in ihre Brust.
Die Tür wurde aufgestoßen, und Trudi hörte eine hohe, feste Stimme »Felix« sagen, ehe sie sich selbst zum Schreien entschloß. »Seien Sie still«, sagte die Stimme. Der Körper neben Trudi war schlaff geworden, als habe ein starkes Betäubungsmittel gewirkt. Trudi richtete sich auf. Eine weißhaarige Frau stand im Zimmer und sah sie mit dem gleichen kalten Blick an, den er in der U-Bahn gehabt hatte. »Mein armer Junge«, sagte die Frau und gab nicht auf, Trudi dabei zu betrachten, »laß das Mädchen gehen.« Trudi brauchte einen Moment, um vom Boden hochzukommen. Doch dann ging sie rasch an der Frau vorbei und aus dem Haus, und erst draußen vor
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