Das Sonnenblumenfeld
hatte Lorenzo noch einmal gefragt.
Sie hatte ihn angelächelt, dann war sie losgeradelt.
»Caterina!«, hatte er gerufen und war ihr nachgelaufen.
Caterina warf ihm mit den Fingerspitzen einen Kuss zu und fuhr durch den strömenden Regen davon.
Auf der Brücke
Wie Kanonendonner hupte es hinter ihr. Caterina erschrak, schlingerte, kippte nach rechts, die Räder brachen aus und schlitterten über die Kiesel am Randstreifen. Sie bremste, aber das Fahrrad rutschte, unentschieden, ob es unter die Räder des Lastwagens geraten oder über den Rand der Brücke fallen sollte.
Der Lastwagen schoss wie ein Sturm vorbei. Hupend und alle Heiligen des Fegefeuers verfluchend. Caterina setzte die Füße auf den Boden und stemmte sich mit aller Kraft gegen die Bewegung.
Das Fahrrad brach ein letztes Mal zur Seite aus, schlug gegen den Mast einer Straßenlaterne und blieb stehen.
Caterina bekreuzigte sich und fuhr, als der erste Schreck vorüber war, weiter.
»Mè, Caterì«, hatte der Vater vor drei Tagen gerufen, als sie aus Roccelle zurückgekehrt waren, »ich muss mit dir reden.«
Seine Stimme klang seltsam. Er war in ihr Zimmer gekommen, ohne anzuklopfen. Wütend sah er aus.
»Papà, hab ich was gemacht?«
»Ich hab gehört, der Enkel vom Schuster ist hinter dir her.«
Caterina zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung.«
»Ich hab gehört, der Enkel vom Schuster gefällt dir.«
»Er ist ein anständiger Junge.«
»Ich hab gehört, du hast den Enkel vom Schuster jeden Sonntagmorgen am Strand getroffen.«
»Wer sagt denn das?«, fragte Caterina, verwundert darüber, dass die Mutter sie verraten hatte.
»Stimmt das?«
»Und wenn schon?«
Der Vater seufzte tief.
»Du darfst ihn nicht mehr treffen«, sagte er mit einer Stimme, die fremd klang.
»Aber warum?«
»Weil ich das nicht will.«
»Und wenn ich ihn trotzdem treffe?«
Zum ersten Mal widersprach sie ihrem Vater.
Der Vater ging auf seine Tochter zu. Kurz sah es so aus, als wollte er ihr etwas sagen. Dann gab er ihr eine schallende Ohrfeige.
Damit hatte Caterina nicht gerechnet.
Sie fasste sich an die brennende Wange.
»Und wenn ich ihn trotzdem treffe?«, fragte sie zum zweiten Mal, ohne den Blick zu senken.
»Dann brech ich dir alle Knochen«, antwortete der Vater mit einem Blick, den sie noch nie bei ihm gesehen hatte. Einem Blick voller Zorn.
Caterina war so in die Gedanken an den Vater ver
sunken, sie merkte kaum, dass sie das Ende der Brücke erreicht hatte.
Weiter vorne sah sie einen kleinen Lieferwagen, der so abrupt von der Straße abbog, dass er beinahe ein Auto gerammt hätte. Die Reifen des Lieferwagens kreischten, dann verlor er sich zwischen den Feldern in einer weißen Staubwolke.
Caterina schaute sich um und fuhr vorsichtig von der Landstraße ab. Der Weg schlängelte sich zwischen den Olivenbäumen entlang. Hinter ihr verklang der Lärm der Lastwagen, der Gesang der Grillen wurde lauter.
Am Cuzzolara-Teich wurde der Weg enger und staubiger. Dort hinten, wo der Teich aufhörte, lag das Sonnenblumenfeld. Mit den gelben Blüten, die sich nach der Sonne drehten. Und Lorenzo, der auf sie wartete.
Dummenico und der Professor
Sie bogen nach links ab, die Reifen quietschten. Das Auto, das ihnen entgegenkam, musste bremsen, sonst wären sie zusammengestoßen.
»Langsam, Mimmù, langsam«, sagte der Professor und hielt sich am Türgriff fest.
»Scheiß auf langsam, Prufessò, sonst sind wir am Arsch.«
»Wenn du so weiterfährst, sind wir sowieso am Arsch, auch ohne die«, sagte der Professor.
Dann steckte er den Kopf aus dem Fenster, um zu sehen, ob der Hubschrauber noch hinter ihnen her war. Das Geräusch schien von weiter weg zu kommen, aber er konnte nichts erkennen, weil die Olivenbäume den Himmel verdeckten.
»Hierher können sie uns nicht folgen«, sagt der Professor.
»Was machen wir denn jetzt?«, fragte Dummenico.
»Erst mal die Pistolen und die Nummernschilder loswerden. Dann suchen wir einen sicheren Ort für das Geld und gehen aufs Fest von Santu Vito.«
»Du mit deinem Scheißfest!«
»Nur, um rauszufinden, ob die hinter uns her sind. Wenn das Fest vorbei ist und sich keiner um uns
kümmert, holen wir uns die Kohle und gehen nach Hause.«
»Und was sagen wir, wenn die Carabinieri uns anhalten, Prufessò?«
»Dass wir zum Fest gehen, Wein trinken und tanzen, das sagen wir!«
»Wenn das mal gut geht, Prufessò.«
Der Lieferwagen rollte in einer Staubwolke zwischen den Olivenbäumen hindurch. Weit und
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